Der traditionelle Höhepunkt des Festaktes zum Tag der Flämischen Gemeinschaft: Der Vlaamse Leeuw wird geschmettert. Die Kamera zeigt in Nahaufnahme Kris Van Dijck, den Übergangspräsidenten des flämischen Parlaments, wie er lauthals mitsingt. Es ist, als wolle der N-VA-Politiker in einem Vlaamse Leeuw den ganzen Druck ablassen, der sich in den letzten Tagen angestaut haben muss. Was er in dem Moment wohl noch nicht weiß: Es sollte noch viel schlimmer kommen.
Kris Van Dijck ist gerade mal seit drei Wochen der Vorsitzende des flämischen Parlaments - übergangsweise, bis eine neue Koalition das Amt definitiv zuweist. In dieser Eigenschaft fungiert der altgediente N-VA-Politiker als Gastgeber beim Festakt zum flämischen Gemeinschaftsfeiertag. Nur richten sich diesmal besonders viele Augen auf den Redner, denn in den letzten Tagen hatte Kris Van Dijck für peinliche Schlagzeilen gesorgt.
Verkehrsunfall
Mitte vergangener Woche hatte Van Dijck in der Nacht einen Verkehrsunfall verursacht. Nicht wirklich schlimm: Er war auf einen stehenden Anhänger geprallt. Allerdings: Die Polizei stellte fest, dass der Mann offensichtlich mindestens ein Glas zu viel getrunken hatte. Später wurde ermittelt, dass er 1,4 Promille im Blut hatte.
Gerade in Flandern ist Verkehrssicherheit eins DER großen Dauerbrennerthemen. Und dass sich ausgerechnet der Parlamentspräsident mit zu hohem Blutalkohol hatte erwischen lassen, das hatte in den letzten Tagen schon für hitzige Diskussionen gesorgt.
Kris Van Dijck stellte sich aber gleich zu Beginn seiner Festtagesrede seiner Verantwortung: Er wolle sich noch einmal für sein leichtfertiges Verhalten entschuldigen. Es tue ihm leid, er könne die Uhr aber leider nicht zurückdrehen. Er wolle jetzt aber die Straßenverkehrssicherheit zu seinem Hauptanliegen machen und alle, die in diesem Bereich aktiv sind, könnten auf seine Unterstützung zählen. Kris Van Dijck hatte wohl gehofft, mit diesem Satz dieses unrühmliche Kapitel abgehakt zu haben.
Seine Rede jedenfalls stand ganz im Zeichen von Verantwortungsbewusstsein. Auch ein paar warme und auch manchmal fordernde Worte über die flämische Autonomie durften nicht fehlen. Am Ende dann eben, der schon erwähnte "Vlaamse Leeuw".
Prostituierte und Betrug
Nur: Da hatten wohl schon die ersten eine Eilmeldung auf ihrem Smartphone gelesen. Buchstäblich gleich nach der letzten Note der flämischen Hymne entstand spürbare Unruhe. "Der Schlussakkord dieses flämischen Festtags könnte in Moll sein", sagte Linda De Win, die für die VRT live von dem Festakt berichtete. Denn es gibt neue Meldungen über Kris Van Dijk.
In der Tat: Die gab es. Wohl nicht ganz zufällig genau in dem Moment, in dem der amtierende Parlamentspräsident seine Festrede hielt, hatte die flämische Zeitschrift "P-Magazine" eine Knallermeldung veröffentlicht. Zwei Schlagworte sagen schon alles: Prostituierte und Betrug.
Aufgedröselt: Kris Van Dijck soll laut dem Bericht eine Liebhaberin gehabt haben, die als "Escortdame" gearbeitet hat. Van Dijck soll versucht haben, dafür zu sorgen, dass die Frau in den Genuss von Arbeitslosengeld kommt. Dafür sei unter anderem eine Scheinfirma gegründet worden. Laut P-Magazine soll Van Dijck darüber hinaus noch versucht haben, einen Fonds anzuzapfen, der bei einer Firmenschließung den Leidtragenden unter die Arme greift.
Die Nachricht schlug eine wie eine Bombe. Quasi unmittelbar, nachdem sich Kris Van Dijck beim Vlaamse Leeuw buchstäblich die Seele aus dem Hals gesungen hatte, verließ er den Festakt durch eine Hintertür. Ein VRT-Team filmte die Szene. Kein Kommentar. Nur seine Frau, die in Richtung Kamera zischt, dass man sie doch in Ruhe lassen solle.
Van Dijck dementiert
Rund drei Stunden später gab Kris Van Dijck seinen Rücktritt bekannt. In einem Kommuniqué beteuert er, nichts Illegales getan zu haben. Die Vorwürfe seien aus der Luft gegriffen. Er trete nur zurück, weil er unter diesen Umständen das Amt nicht mehr wahrnehmen könne.
Wer neuer flämischer Parlamentspräsident wird, das weiß man schon. In Ermangelung einer parlamentarischen Mehrheit wird das der Vizepräsident - und das ist kein geringerer, als der Vlaams-Belang-Politiker Filip Dewinter, der in seiner langen Karriere im Wesentlichen durch verbale Entgleisungen und rechtsextreme Hetze aufgefallen ist.
Alles in allem also: ein schwarzer Tag der Flämischen Gemeinschaft.
Roger Pint
So sieht also "goed bestuur" aus... so gut verwaltet und gewaltet, dass jetzt ein Rechtsextremer als Präsident des Flämischen Parlaments nachrückt - schämt sich denn da überhaupt keiner mehr für irgendetwas?
Die feinen Anzüge und das Vorzeigeschwiegersohn-Image des Vlaams Belang sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Partei immer noch von abgrundtief braunem Gedankengut durchsetzt ist - die Glatzen und Springerstiefel sind weg, aber die Ideen sind immer noch so menschenverachtend wie davor.
Es ist nicht mehr das Stampfen der Stiefel, das wir fürchten sollten, sondern das "Schlötschen unserer Schlubben"... "Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." (Niemöller)