Marcel Conters redet nicht lange um den heißen Brei herum: Der Brüsseler Nordbahnhof, das sei wirklich die Hölle, sagt der Sprecher der Sozialistischen Gewerkschaft ACOD bei De Lijn. Die vielen Transitmigranten, die dort seit Monaten zu den Stammgästen gehören, seien für diese Hölle verantwortlich.
Die Busfahrer, die am Nordbahnhof eine Haltestelle anfahren, dort eigentlich auch gerne eine Pause machen, um auf Toilette zu gehen, seien dort regelmäßig mit Sachen konfrontiert, die in einer modernen Gesellschaft nicht mehr vorkommen dürfen, sagt der Gewerkschaftsmann. Exkremente und Urinlachen auf dem Boden, dazu der entsprechende Gestank. Menschen in abgerissenen Kleidern, die auf dem Boden liegen oder in Gruppen herumstehen, manchmal Drohungen aussprechen.
Als jetzt noch das Gerücht umging, dass unter diesen Tansitmigranten Krankheiten wie Krätze und Tuberkulose die Runde machen, wurde es den Busfahrern von De Lijn zu bunt. Ohne vorherige Absprache mit der Unternehmensführung entschieden sie sich dafür, nicht mehr an der Haltestelle Nordbahnhof zu stoppen. "Eine Lösung muss her. Das ist eine Bushaltestelle, kein Auffanglager für Transitmigranten", sagt Marcel Conters.
Ab diesem Montag fahren die Busse von De Lijn statt der Haltestelle Nordbahnhof andere Busstationen in der näheren Umgebung an. Eigentlich sollten alle Linien an der Bushaltestelle Rogier ein paar hundert Meter weiter halten. Doch das funktionierte am Montag nicht so, wie geplant. Ergebnis: Verwirrung unter den Nutzern von De Lijn. Ein Austausch zwischen Gewerkschaften und Unternehmensleitung soll dieses Problem lösen.
Politische Lösung gefragt
Für das Problem der Transitmigranten ist eine politische Lösung gefragt. Schnell erhoben sich auch Stimmen, die ihre Solidarität mit den Busfahrern verkündeten: "Ich verstehe die Busfahrer sehr gut: Sie sind Opfer der Untätigkeit der Verantwortlichen", sagte schon Schaerbeeks Bürgermeister Bernard Clerfayt am Sonntag im flämischen Fernsehen.
Der Brüsseler Nordbahnhof liegt auf dem Gebiet von Clerfayts Gemeinde Schaerbeek. Doch wenn er von den Verantwortlichen spricht, meint der Défi-Politiker nicht sich selbst, sondern die Föderalregierung. Denn erstens fielen Flüchtlinge in die Zuständigkeit der Föderalregierung. Und zweitens hätten auch auf dem Bahnhof nicht seine Lokalpolizisten die notwendigen Befugnisse, sondern wiederum die Föderalpolizei. Deshalb sei die Föderalregierung für Lösungen zuständig. Die habe aber seit Jahren das Problem nicht gelöst. Nicht lösen wollen. "Ich fordere, dass nach den Wahlen die neue Regierung das in Angriff nimmt", sagte Clerfayt.
Was die Föderalregierung machen soll, davon hat Clerfayt auch eine klare Vorstellung: "Ein Aufnahmezentrum soll am Nordbahnhof oder irgendwo in der Nähe eingerichtet werden. Wo die Flüchtlinge mal auf Toilette gehen können, duschen, schlafen und essen. Ohne so ein Zentrum bliebe den Flüchtlingen ja gar nichts andere übrig, als am Nordbahnhof zu hausen. Denn wo sollten die Menschen denn sonst hingehen?", fragt Clerfayt.
Gleicher Ton bei der Regionalregierung. Der für Verkehr zuständige Minister Pascal Smet von der SP.A weist ebenfalls jede Verantwortung für die schlimmen Zustände am Nordbahnhof von sich. Auch er zeigt mit dem Finger auf die föderale Ebene und fordert die Einrichtung eines Orientierungszentrum: "Die Menschen, die am Nordbahnhof ankommen, sollten in dieses Orientierungszentrum gebracht werden. Und dann ist alles eigentlich ganz einfach: Entweder entschließen sie sich dann dazu, die normale Asylprozedur zu starten, oder eben nicht. Und dann müssen sie halt unser Land verlassen", sagt er.
Doch ganz so einfach ist es eben nicht. Dass bei der aktuellen Föderalregierung kein Wille vorhanden ist, das konkrete Problem am Nordbahnhof mit strukturellen Maßnahmen zu lösen, machte am Montag noch einmal Maggie De Block klar, bei der Föderalregierung zuständige Ministerin für Migration: "Ich kann kein Auffangzentrum einrichten für Menschen, die kein Asyl wollen. Das wäre keine gute Lösung. Man muss andere Wege einschlagen", sagte sie am Montag.
Mit den anderen Wegen meint De Block Aufklärungskampagnen für Flüchtlinge. Ihnen müsste am besten schon vor Beginn der Reise nach Europa klar gemacht werden, dass sie hier eigentlich keine Chance auf Verbleib haben.
Solche Ideen, deren Verwirklichung eher Jahre statt Monate dauern, lösen das Problem der Busfahrer von De Lijn aber nicht. Sie sollen ab Dienstag von ihren Kollegen der Brüsseler Nahverkehrsgesellschaft STIB unterstützt werden. Auch die STIB-Fahrer wollen ab Dienstag nicht mehr an der Haltestelle Nordbahnhof stoppen.
Neuer politischer Streit wegen Flüchtlingen am Brüsseler Nordbahnhof
Kay Wagner