Die Regierung hatte die Sozialpartner zu einem Dringlichkeitstreffen einbestellt, um sich ein Bild von der Lage machen zu können. Und die sieht so aus: Für das Rahmentarifabkommen haben sich alle Arbeitgeberverbände und auch zwei Gewerkschaften ausgesprochen, nämlich die CSC und die CGSLB. Allein die beiden Flügel der sozialistischen Gewerkschaft sind dagegen.
Das Rahmentarifabkommen ist damit eigentlich Geschichte. Im Normalfall hätte die Regierung noch die Möglichkeit, ein solches Abkommen "durchzudrücken". Allerdings ist die Regierung ja nur geschäftsführend im Amt und hat also nur einen begrenzten Handlungsspielraum. Von der Seite darf man also nicht allzu viel erwarten.
Arbeitgeber und die beiden Gewerkschaften CSC und CGSLB halten an dem Abkommen fest. Eine knifflige Situation also: Das Nein der FGTB sorgt dafür, dass auch alle anderen mit leeren Händen dastehen. Schlimmer noch: Gegebenenfalls droht ein absolutes Durcheinander. Mit einem Satz hatte die FGTB-Generalsekretärin Miranda Ulens am Dienstag eine Drohkulisse aufgebaut. "Im Notfall, wenn jetzt nichts mehr passiert, dann werden wir Tarifabschlüsse auf Sektorebene anstreben", sagte Ulens.
Dann würde man eben Lohnerhöhungen nicht mehr global festlegen, sondern einzeln in den verschiedenen Sektoren verhandeln. "Das wäre das nackte Chaos", sagte aber Wirtschafts- und Arbeitsminister Kris Peeters. All diese Verhandlungen würden in den Unternehmen für Unruhe sorgen, vielleicht sogar von Gewerkschaftsaktionen begleitet.
Hinzu kommt: Es gäbe keine Lohnnorm. Also keine Obergrenze, wie es derzeit im Gesetz steht. Die ominösen 1,1 Prozent haben mit den Ausschlag gegeben für das Nein der FGTB. Verhandelt man auf Ebene der Unternehmen oder der Branchen, dann sind höhere Tarifabschlüsse möglich. "Und dann wären die jahrelangen Anstrengungen, um die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den Nachbarländern zu gewährleisten, schnell wieder hinfällig", warnt Kris Peeters.
Nicht nur die Lohnnorm
Was tun? Nun, die Regierung kann in einem solchen Fall die Lohnnorm festlegen. Und das habe sie auch schon angekündigt, sagte FGTB-Chef Robert Vertenueil nach dem Ende der Krisensitzung. Aus dem Mund des amtierenden Premierministers Charles Michel hörte sich das aber später ganz anders an: "Nein, wir haben noch keine Initiative ergriffen. Wir wollen erst noch Klarheit von der FGTB in der Frage, wie sie sich im Nationalen Arbeitsrat aufzustellen gedenkt."
Jetzt wird es ein bisschen haarig. Denn es geht um mehr als nur um ein Rahmentarifabkommen. In dem Text geht es nicht nur um Lohnerhöhungen, es werden auch viele andere Aspekte des Arbeitsmarktes abgedeckt. Zum Beispiel haben sich ja die Sozialpartner darauf geeinigt, dass die Erhöhung des Mindestalters für Vorruhestandsregelungen etwas verlangsamt werden soll.
Bei einem anderen Aspekt, von offiziellen Stellen mit dem Begriff "Wohlstandsumschlag" übersetzt, handelt es sich um einen Topf, über den zum Beispiel die niedrigsten Sozialleistungen etwas aufgebessert werden. In diesem Topf befinden sich immerhin stolze 700 Millionen Euro.
Über das Rahmentarifabkommen wären diese Gelder losgeeist worden. Ohne Abkommen sieht das anders aus. Jetzt hängt es davon ab, wie sich die FGTB im Nationalen Arbeitsrat aufstellt. Bleibt die sozialistische Gewerkschaft bei ihrer Blockadehaltung, dann können diese Gelder nicht fließen, da dieses Gremium nur einstimmig entscheiden kann. Die Regierung ist ihrerseits geschäftsführend im Amt, kann hier also nichts machen.
Deswegen auch die beißende Analyse von Charles Michel: Wegen der unverantwortlichen Haltung der FGTB können Gelder, die für die Schwächsten bestimmt sind, diese Menschen nicht erreichen. "Und das ist eine schlimme Situation."
Für die anderen Vertragspartner stellt der Entwurf des Rahmentarifabkommens ein unteilbares Ganzes dar. Die Regierung will nicht die Lohnnorm von oben herab festlegen, ohne die Aussicht zu haben, dass die anderen Teilaspekte durchgehen - um nicht den Geist des Abkommens zu missachten und damit die anderen zu bestrafen, wie Peeters erklärt. Aus Sicht der Regierung ist jetzt also eindeutig erstmal die FGTB am Zug.
Roger Pint