Über den Verkehr im Großraum Brüssel ist schon viel geredet, diskutiert und gestritten worden. Meist stehen sich zwei Standpunkte gegenüber: "Die Leute sollen doch vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen", sagt der eine. "Können vor Lachen", erwidert dann gleich der andere. Denn: Dass Bus und Bahn nach wie vor nicht immer eine Alternative darstellen, ist auch unbestritten.
Die Brüsseler Regionalverantwortlichen scheinen jetzt auf ihre Art den gordischen Knoten durchhauen zu wollen. Die Zeitung De Standaard brachte es mit einer Schlagzeile auf den Punkt: "Brüssel macht seine Autobahnen dicht". Und das ist tatsächlich fast wörtlich zu verstehen.
Im Mittelpunkt stehen hier zwei Autobahnabschnitte: die A12, die von Norden aus in die Hauptstadt führt, und die E40, die von Osten kommt, also aus der Richtung Lüttich-Löwen. Weswegen redet man nur über diese Teilstücke? Nun, weil es die einzigen sind, die tatsächlich auf dem Territorium der Region Brüssel-Hauptstadt liegen.
Verkehrssicherheit und Luftqualität
Und diese beiden Abschnitte sind es also, die "dichtgemacht" werden sollen. Naja, dichtgemacht: "Wir wollen die Autobahnen umwandeln in Stadtboulevards", sagte der Brüsseler Mobilitätsminister Pascal Smet am Freitagmorgen in der VRT. Mit viel Platz für Fahrräder und mit viel Grün. "Das sind dann immer noch Straßen", sagt Smet. Nur werde dort die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h herabgesetzt. Und die Zahl der Fahrspuren werde verringert. Im Fall der E40 von Löwen kommend werden aus sechs Bahnen vier.
Hier geht es erstmal um Verkehrssicherheit und natürlich um Luftqualität, fügt der SP.A-Minister hinzu. Aber nicht nur das. Autobahnen, das sind Relikte aus einer anderen Zeit, aus den 1950er Jahren. Mit den Autobahnen zieht man förmlich die Autos in die Stadt. Und damit eben auch die Staus.
Hier hört man auch schon heraus, welches Kalkül dem Ganzen zugrunde liegt. Pascal Smet ist davon überzeugt: Je mehr Platz für den Straßenverkehr vorgesehen wird, desto mehr Autos bekommt man. Kritiker bezeichnen das dann schnell als "Milchmädchenrechnung", nach dem Motto: Die Menschen, die auf der Straße sind, sind doch nicht zum Spaß unterwegs, die müssen schließlich auch nach Brüssel.
"Wir haben doch den Realitätscheck gemacht", reagiert Smet auf die Kritik. Unfreiwillig wohlgemerkt. Es ist so: In den letzten Monaten waren zwei der drei Tunnel, die von der E40 in die Innenstadt führen, gesperrt. Und was haben wir festgestellt? Es wurden deutlich weniger Autos gezählt, nämlich 45.000 statt 60.000 pro Tag. Das zeige doch, dass die Menschen dann auf eine andere Art und Weise nach Brüssel kommen, vielleicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Flaschenhälse
"Die Autofahrer nehmen nur andere Wege", wenden da Kritiker ein. Und das ist auch genau das Problem, das die flämische Region mit der Brüsseler Idee hat. "Wenn Brüssel die Zugänge in die Stadt in Flaschenhälse verwandelt, was passiert dann? Dann verlagern sich die Staus nach Flandern", so ein oft gehörter Einwand aus dem Norden des Landes. "Ja klar, wir müssen miteinander reden", sagt Smet. Natürlich übersteigt die Mobilitätspolitik die jeweilige Region. Nur: Brüssel werde schließlich auch immer wieder das Opfer der falschen Mobilitätspolitik der anderen beiden Regionen. Und jetzt könne man es eben auch den Brüsselern nicht übel nehmen, wenn sie im Sinne der Luftqualität ihrer Bürger entscheiden.
Und deswegen weise er denn auch die Kritik etwa von Automobilclubs zurück. "Nein! Das ist kein Autofahrer-Mobbing!", sagt Pascal Smet. Man müsse nur die Menschen manchmal dazu bringen, einzusehen, dass sie nicht die richtige Entscheidung treffen. Und dass es hier um unser aller, also auch um ihre Lebensqualität geht.
Der Prozess ist jedenfalls angestoßen. Schon in der kommenden Woche werden die beiden Autobahnabschnitte offiziell in Regionalstraßen umklassifiziert. Und die Botschaft von Pascal Smet ist klar und deutlich: "Wir ziehen das jetzt durch!"
Roger Pint