Die flämische Umwelt- und Agrarministerin Joke Schauvliege stand enorm unter Druck, seit der Mitschnitt einer Rede aufgetaucht war, die die CD&V-Politikerin am Wochenende vor Mitgliedern eines Bauernverbandes gehalten hatte. Darin hatte sie sinngemäß behauptet, dass hinter den Klimaschutzdemos eine Verschwörung steckt.
Einige Oppositionsparteien hatten schon zuvor den Rücktritt der Ministerin gefordert. Auch parteiintern wackelte ihr Stuhl. Den ganzen Dienstagnachmittag lang saß die Parteispitze der CD&V bei einer Krisensitzung zusammen und dabei ging es ausschließlich um ihr Schicksal.
Und da gab es zudem terminliche Zwänge. Eigentlich sollte die Ministerin schon gegen 14 Uhr an einer Kommissionssitzung im flämischen Parlament teilnehmen. Bei der Gelegenheit wäre sie wahrscheinlich von der Opposition auseinandergenommen worden. Die Sitzung des Umweltausschusses wurde also verschoben - auf 15:30 Uhr. Um 16:00 Uhr sagte sie dann aber definitiv ihre Teilnahme ab. Und das hat dann nochmal die Spekulationen befeuert.
Rede beim Bauernverband
Alles hat am Wochenende beim Neujahrsempfang eines Bauernverbandes begonnen. Dort hatte Joke Schauvliege die Rede gehalten, die danach so viel Wirbel verursacht hat.
Auf besagtem Neujahrsempfang hat Joke Schauvliege eine These in den Raum gestellt, die verdächtig nach einer Verschwörungstheorie klingt. Nämlich, dass hinter den Klimaschutz-Demos der letzten Tage mehr steckt, dass die quasi gesteuert würden. Das habe ihr gegenüber auch die Sûreté, also der Inlandsgeheimdienst, bestätigt.
Staatsschutz dementiert
Der Punkt ist: das mit dem Staatsschutz, das stimmt nicht. Die Zeitung De Standaard hatte am Dienstagmorgen schon unter Berufung auf die Staatssicherheit erklärt, dass eine solche Information nicht an die Ministerin übermittelt worden sei. Und später kam ein ebenso kleinlautes wie entwaffnendes Geständnis von Schauvliege - erst am Dienstagmorgen im VRT-Radio, dann am Mittag auch nochmal vor den Kameras: Sie habe etwas gesagt, das nicht stimmt, und dafür habe sie sich entschuldigt, sagt Joke Schauvliege.
Und sie hat auch eine Erklärung parat: Die letzten Tage seien sehr schwierig gewesen. Sie sei unter anderem von Umweltaktivisten bombardiert worden mit E-Mails und SMS-Botschaften. Sie sei in Sozialen Netzwerken übelst beschimpft worden. Und aus all diesen Gründen seien wohl ihre Emotionen mit ihr durchgegangen.
Schauvliege nicht zu halten
Obwohl sie sich entschuldigt hatte, war sie als Ministerin nicht mehr zu halten, weil das Ganze sehr dick aufgetragen war. Hier ging es nämlich nicht nur um die Sache mit dem Staatsschutz, also ob es da einen Kontakt gab oder nicht. Hier ging es auch um die eigentliche These von Schauvliege. Also: Ihre Behauptung, dass die Klimaschutzdemos quasi inszeniert sind. Sie hatte die These noch ausgeführt: Hier gehe es um Rache. Rache für eine Reihe von Bauerndemos im Jahr 2003.
Die Kundgebungen richteten sich gegen die damalige grüne Agrarministerin Vera Dua. Bei diesen Kundgebungen hatte übrigens Joke Schauvliege damals, vor 15 Jahren, selbst sogar mit demonstriert. Und das, was wir jetzt sehen, das sei eben die "Rache".
Reaktion der Umweltaktivisten
Die Umweltaktivisten sind richtig wütend. Die Organisatoren der Klimaschutzdemos der letzten Woche sind regelrecht an die Decke gegangen. Nach dem Motto: Hier werden jetzt engagierte Bürger als Teil einer Verschwörung betrachtet, werden fast schon kriminalisiert. Und in den Ohren der Schüler muss sich das anhören nach dem Motto: Die sind doch nur willenlose, manipulierte Marionetten.
Es mag da sicherlich Mitläufer geben, es mag auch Jugendliche geben, die von wem auch immer da hingestellt werden. Aber der großen Masse zu unterstellen, dass sie so ganz ohne eigenen Antrieb demonstriert - die Thesen der Ministerin klingen dann doch ziemlich hanebüchen.
Das hat wohl auch die CD&V so gesehen, sonst hätte man sich nicht stundenlang eingeschlossen, um über die Lage zu beraten.
Wahlkampf
Die Glaubwürdigkeit von Joke Schauvliege als Umweltministerin war dahin - allein schon, weil sie gelogen hat. Und der Klimaschutz, der ist nun mal gerade das beherrschende Thema im Wahlkampf. Und da war wohl zu befürchten, dass Joke Schauvliege "jetzt erst recht" zur Zielscheibe wird. Sie war es ja vorher auch schon.
Die flämische Umweltministerin Joke Schauvliege ist am Dienstagabend zurückgetreten. Wer ihr Nachfolger in der flämischen Regierung werden soll, steht noch nicht fest.
belga/vrt/est