Nach dem Rücktritt von Premierminister Charles Michel hat König Philippe seine Konsultationsgespräche mit den einzelnen Parteivorsitzenden aufgenommen. Der König will sich zunächst ein Bild von der Lage machen, bevor er seine Entscheidung bekannt gibt.
Am Mittwochvormittag hatte der Monarch Gespräche mit dem CDH-Präsidenten Benoit Lutgen und mit der Vorsitzenden der OpenVLD, Gwendolyn Rutten, geführt. Über den Inhalt der Unterredungen wurde nichts mitgeteilt. Am Nachmittag empfing König Philippe den N-VA-Vorsitzenden Bart De Wever und PS-Präsident Elio Di Rupo.
König Philippe will Gespräche mit den Vorsitzenden aller Parteien führen, um sich ein genaues Bild der Lage zu machen. Er kann am Mittwoch aber nicht alle Parteichefs treffen, weil er beim traditionellen Weihnachtskonzert im Palast erwartet wird. Seine Konsultationen wird er dann am Donnerstag fortsetzen.
Wenn König Philippe den Rücktritt von Premierminister Charles Michel annimmt, könnte es zu einer geschäftsführenden Regierung kommen. Diese Möglichkeit lag schon vor gut einer Woche in der Luft. Schon damals hatte Premierminister Charles Michel bei seiner Rede in der Kammer davor gewarnt. Denn eine geschäftsführende Regierung bedeute quasi Entscheidungsunfähigkeit, eine Lähmung der belgischen Politik. Bei den vielen wichtigen Entscheidungen der kommenden Monate sei das nicht zu empfehlen.
Einen Tag später wiederholte Michels Parteikollege und Föderalminister für Landwirtschaft und Mittelstand, Denis Ducarme, bei der RTBF das gleiche in seinen Worten: geschäftsführend - das bedeute politisches Koma. Von einer geschäftsführenden Regierung könnten keine konkreten, politischen und tiefgreifenden Initiativen ergriffen werden, so Ducarme.
Ganz so dramatisch ist es allerdings nicht. Denn was eine geschäftsführende Regierung darf oder nicht, ist nirgends rechtsverbindlich festgeschrieben. Daran erinnert Jean Faniel, Direktor des sozio-politischen Forschungs- und Informationszentrums CRISP. Notfälle, die Weiterführung bereits angestoßener Projekte und alltägliche Verwaltungsaufgaben würden grundsätzlich als Kerngeschäft einer geschäftsführenden Regierung gelten. Aber: "Das alles beruht mehr oder weniger auf Gewohnheit", sagt Faniel. "Es gibt nicht wirklich Regeln, die die Aufgaben einer geschäftsführenden Regierung festlegen. Man macht es so, wie man es schon vorher gemacht hat."
Wenn man von diesem Befund ausgeht, dann ist der Handlungsspielraum einer geschäftsführenden Regierung gar nicht mal so eng. Als Belgien in den Jahren 2010 und 2011 keine gewählte Regierung hatte und Yves Leterme 541 Tage lang eine geschäftsführende Regierung leitete, da konnte Belgien immerhin eine ganze Bank kaufen, die EU-Ratspräsidentschaft sechs Monate lang erfolgreich gestalten, den Eintritt Belgiens in den Libyen-Krieg beschließen und sogar ein Budget aufstellen und verabschieden.
"Die Spielräume einer geschäftsführenden Regierung entwickeln sich abhängig von den Umständen", erklärt Faniel. Während der langen Staatskrise 2010/2011 habe sich dieser Handlungsspielraum deutlich ausgeweitet, so der Experte. Dabei sei zu beobachten, dass die Möglichkeiten einer geschäftsführenden Regierung wachsen, je länger es keine gewählte Regierung gibt.
Sollte es jetzt zur Bildung einer geschäftsführenden Regierung kommen, gehen Beobachter von vornherein davon aus, dass sie für längere Zeit die Geschicke Belgiens leiten wird. Zunächst bis zu den Wahlen im Mai. Dann aber auch noch in der Zeit, in der nach den Wahlen eine neue Regierungskoalition gefunden werden muss. Und so, wie sich die Parteienlandschaft zurzeit darstellt, dürfte das äußerst schwierig werden und damit lange dauern.
Was eine geschäftsführende Regierung machen kann und was nicht, liegt letztlich auch ein bisschen in ihrem Ermessen - und in dem, was sie bereit ist zu wagen und anzustoßen. André Flahaut, ehemaliger Kammerpräsident, rät dabei: "Man muss mit Pragmatismus handeln. Und man darf sich nicht zu sehr mit dem Streit darum aufhalten, was erlaubt ist und was nicht."
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