Am Dienstag haben sich die Ereignisse nochmal richtig überschlagen. Höhepunkt war, als sich Premier Charles Michel am Abend vor die Presse gestellt hat. Dabei hat er sozusagen die Flucht nach vorn angetreten. Konkret: Michel kündigte an, das Parlament über den UN-Migrationspakt entscheiden zu lassen. Und er werde dann nach Marrakesch reisen, um dort den Standpunkt des belgischen Parlaments zu vertreten.
Michel weiß natürlich, was er da sagt. Es ist absehbar, dass die N-VA gegen den Text stimmt. Michel zählt aber darauf, dass eine Wechselmehrheit zustande kommt, sprich: dass Teile der Opposition den Migrationspakt unterstützen werden. Michel legt es also quasi darauf an, dass die N-VA umschifft wird. Mehr noch: Die N-VA hat im Vorfeld klargemacht, dass sie keine Wechselmehrheit akzeptieren würde, und dass sie eine Regierung, die nach Marrakesch fährt, nicht unterstützt. Heißt: Michel weiß, dass die N-VA die Regierungskoalition verlassen könnte.
Über den UN-Migrationspakt wird schon seit zwei Jahren verhandelt. Am Dienstag ist in der Kammer der belgische UN-Botschafter angehört worden. Und der hat nochmal ganz klar gesagt: In den zwei Jahren hat es nie irgendwelche Einwände gegeben. Alles, was in dem Pakt steht, sei mit der Regierung abgestimmt gewesen. Deswegen komme das plötzliche Veto der N-VA doch ziemlich aus heiterem Himmel.
Und dann gab es da noch die Kampagne der N-VA. Am Dienstag kursierte in Sozialen Netzwerken plötzlich ein Post der N-VA, in dem die Partei erklärt, warum sie den Pakt für so problematisch hält. Erstmal war das Timing unglücklich. In dem Moment liefen ja noch die Verhandlungen, also versuchte Charles Michel noch, die N-VA zu überzeugen. Und zweitens war da auch noch die Form. Da wurden Fotos verbreitet, die auch schon die AfD benutzt hat, und inhaltlich waren viele der Aussagen einfach nicht korrekt.
Es gab einen Sturm der Entrüstung. Die N-VA hat den Post dann später entschärft. Charles Michel muss das aber als Vertrauensbruch empfunden haben und hat sich wohl gedacht: Dann machen wir jetzt eben ohne die N-VA; und die Nationalisten müssen dann für sich selbst entscheiden, wie sie damit umgehen.
N-VA unter Zugzwang
Die N-VA steht jetzt also unter Zugzwang. Das Ganze fokussiert sich jetzt erstmal im Parlament, wo der zuständige Ausschuss tagt. Dieser Ausschuss könnte am Mittwoch über den UN-Migrationspakt abstimmen, und dabei würde dann die Weigerung der N-VA quasi offiziell.
Ist das denn schon die Stunde der Wahrheit? Entscheidet sich dann, ob die Regierung stürzt oder nicht? Da gehen die Meinungen auseinander. Eigentlich ist hier allein die Regierung zuständig. Michel kann dann den Ball ins Parlament spielen und das Parlament entscheiden lassen. Das ändert aber nichts daran, dass letztlich die Regierung sich alleine engagiert.
Jetzt gibt es zwei Lesarten. Die einen sagen: Wenn die N-VA im Parlament ausschert und eine Wechselmehrheit den UN-Migrationspakt unterstützt, dann ist die Koalition eigentlich schon zerbrochen. Und dann müssten die N-VA-Minister auch den Hut nehmen. Die anderen sagen, und das gilt in erster Linie für die N-VA: Das Parlament kann sich natürlich immer über den Pakt aussprechen. Nur: Es ist die Regierung, die unterschreibt. Und, Michel kann nichts unterschreiben, wenn er nicht für die Regierung in ihrer Gesamtheit spricht.
N-VA: Wir sind auch Teil der Regierung
Der Ausschuss hat sich übrigens gegen halb 12 wieder vertagt, auf Mittwochnachmittag 13:30. Die anderen drei Mehrheitsparteien wollten einen Ergänzungstext zu der Resolution erarbeiten. Das sei aber der allerletzte Aufschub, warnte der Ausschussvorsitzende Dirk Van der Maelen.
Die N-VA hat erstmal nichts gesagt. Keine Reaktion, kein Kommentar. Und am Mittwoch hat der N-VA-Fraktionsvorsitzende Peter De Roover dann klargemacht, dass für ihn die Entscheidung des Parlaments, also des Ausschusses, für ihn nicht bindend ist. Und, dass, wenn Michel jetzt für Belgien unterschreiben würde, dann nicht von der Regierung gedeckt wäre. Die N-VA wolle auch weiterhin in der Föderalregierung bleiben, auch wenn der auswärtige Kammerausschuss die Resolution zum UN-Migrationspakt verabschiede.
"Eine Krise können wir uns nicht leisten"
Charles Michel selbst hat am Mittwoch im Privatsender RTL nochmal vor den Folgen einer Regierungskrise gewarnt. Jeder, der den Stecker zieht, der übernimmt eine schwere Verantwortung, sagt Michel. Es gebe noch viele Herausforderungen, die die Regierung angehen müsse. "Eine Krise können wir uns nicht leisten."
Das ist dann wieder das klassische Schwarze-Peter-Spiel. Man darf wohl behaupten, dass die Koalition ziemlich zerrüttet ist. Es geht jetzt nur noch darum, dass man behaupten kann, dass eben der jeweils andere den Stecker gezogen hat.
Sagen wir mal so: Im Moment ist die Regierung in so einer Art Wachkoma.
vrt/belga/sh/rop