Ein und derselbe Moment, ein und dasselbe Spiel, und dabei hört sich der Zusammenschnitt der beiden Fußballkommentatoren von RTBF und VRT fast so an, als hätten sich die beiden gegenseitig simultan übersetzt. Mit der gleichen Freude, der gleichen Begeisterung, den gleichen Emotionen. Dabei geht es hier doch eigentlich nur um die berühmten 22 Mann, die hinter einem Ball herlaufen. Aber nein! Fußball ist mehr. Der eine oder andere mag jetzt mit dem Kopf schütteln, aber Fußball verbindet.
Bester Beweis dafür ist das, was gerade in Belgien los ist. Im Moment feiern die Menschen von Ostende bis Eupen, von Antwerpen bis Arlon, ein großes Feestje: "Waar is da feestje". Hier hört man übrigens Frankophone. Die Flamen skandieren ihrerseits ohne mit der Wimper zu zucken das allseits bekannte "tous ensemble". Wie jetzt, "alle zusammen"? "Alle zusammen" in einem Land, von dem nicht nur N-VA-Chef Bart De Wever behauptet, dass es eigentlich aus "zwei Demokratien" besteht...? "Alle zusammen" in einem Land, das schon diverse Male für tot erklärt wurde.?
Was ist da los? "Nun, es weht so ein Hauch von Nationalgefühl durch das Land", meint der Leitartikler der flämischen Zeitung De Morgen amüsiert. Und der Kommentar von Gazet van Antwerpen geht sogar noch einen Schritt weiter: "Was uns vereint, das ist ein gemeinsames Bauchgefühl, und das ist stärker als das, was uns trennt". Ausgerechnet Gazet van Antwerpen schreibt das, eine Zeitung, die früher oft einen knallhart flämischen Kurs verfolgte.
"Jetzt mal langsam!", erwidern da aber viele andere. Es ist "nur" Fußball. Und wenn die WM einmal zu Ende ist, dann ist es mit der Belgien-Euphorie auch schnell wieder vorbei. Da ist zweifelsohne was dran, sagte auch der Philosoph und Autor Philippe Van Parijs in der RTBF. Klar: Irgendwann ebbt der Siegesrausch ab und dann kehrt wohl auch irgendwann der Blues zurück. Natürlich wird eine Fußball-WM nicht das Land umkrempeln, und sogar nicht, wer weiß, der WM-Titel.
Wir werden nicht irgendwann, eines Morgens, in einem anderen Land wach. Da sind sich im Grunde auch alle einig. Dennoch, meinte auch schon sinngemäß die eigentlich sonst sehr flämische Zeitung De Standaard: "Man kann jetzt auch nicht behaupten, dass nichts passiert, wenn Millionen Flamen, Wallonen, Brüsseler und Deutschsprachige gleichzeitig die Arme in die Luft werfen. In der Tat, da passiert tatsächlich was, diagnostiziert der Philosoph Philippe Van Parijs. Hier entstehen gemeinsame Erinnerungen, die Menschen erleben das gleiche, prägende Ereignis; und das verbindet durchaus in gewisser Weise, das mache ein Volk doch letztlich aus.
Also doch ein kollektives, "belgisches" Bewusstsein. Davon allein kann man sich aber nichts kaufen, scheint Van Parijs hinzuzufügen. Wir alle sollten den Schwung mitnehmen, um etwas Neues, etwas Besseres zu schaffen. Genau hier setzen auch andere Beobachter den Hebel an. Es wäre verwegen, die Siege der Roten Teufel irgendwie politisch oder gesellschaftlich deuten zu wollen, sind sich die meisten Leitartikler einig. Etwa auch, was die Zusammenstellung der Mannschaft angeht. Klar, was wir da auf dem Platz sehen, das ist ein Spiegelbild der belgischen Gesellschaft: Flamen, Wallonen, Brüsseler, Spieler mit marokkanischen, kongolesischen oder kosovo-albanischen Wurzeln. Dafür wird aber morgen nicht jeder Fußballfan gleich zum Verfechter einer multikulturellen Gesellschaft. Frankreich ist das beste Beispiel: Die black-blanc-beur-Weltmeistermannschaft von 1998 hat den Aufstieg des Front National auch nicht verhindert.
Fazit von alledem? Eben, dass es keins gibt. Bis auf das: Lasst uns den Moment genießen. "Carpe diem", appellierten schon mehrere Leitartikler. Machen wir also ein "Feestje" daraus. Wie die Brüsseler Nahverkehrsgesellschaft Stib, die wieder zwei Metrostationen kurzfristig umbenannt hat: Die Haltestelle Merode heißt jetzt "Merode duivels" und die Station "Demey" wurde umgetauft in "En Demey Finale", im Halbfinale. Und dieses Halbfinale, das steigt am Dienstag.
Roger Pint
Brot und Spiele eben.
Das hat vor 2000 Jahren funktioniert und funktioniert immer noch.
Die Perversionen des Profifußballs sollten die Leute auf die Straße bringen.
Stattdessen sind es Schwalben, Pfostenschüsse und Tore.
Allez les diables!