"Nicht realistisch", sagt N-VA-Chef Bart De Wever. Und er meint damit nicht weniger als den Atomausstieg. De Wever hat der VRT ein Interview gegeben, das nächste Woche in voller Länge ausgestrahlt wird. Darin wird er von jungen Menschen befragt, die von den Parteichefs hören wollten, wie die sich die Zukunft vorstellen. "Was denken Sie?", wird De Wever gefragt: "Werden wir fristgerecht 2025 die Atomkraftwerke abschalten?" – "Ich denke nicht!", antwortet Bart De Wever. "Im Moment wird gesagt, dass 2025 alle Reaktoren stillgelegt werden sollen. Das ist schon in sieben Jahren. Heißt also, dass wir bis dahin Alternativen suchen müssen für 6.000 Megawattstunden". Und dann kommt der Satz: "Das halte ich für nicht realistisch."
"Denn, was würde passieren?", sagt De Wever: "Wenn wir doch alle Kernreaktoren vom Netz nehmen, dann wird das unfassbar teuer. Und das sei zudem ökologisch unverantwortlich. Schließlich soll ja der dann fehlende Atomstrom ausgeglichen werden durch Gaskraftwerke, die CO2 ausstoßen. Und auf Dauer sollen wir also nicht nur aus der Kernenergie aussteigen, sondern auch noch auf fossile Brennstoffe verzichten - ich glaub' da nicht dran", sagt De Wever.
Die Koalitionspartner haben angesichts dieser Aussagen wohl große Augen gemacht. Allen voran der flämische Umweltminister Bart Tommelein von der OpenVLD. "Bart De Wever stelle also plötzlich eine Reihe von Entscheidungen infrage", sagte Tommelein in der VRT. Das sei doch seltsam für die größte Regierungspartei. Naja, sagt Tommelein, "da steckt doch ziemlich viel Donald Trump drin."
"Ziemlich viel Donald Trump", es ist nicht das erste Mal, dass die Aussagen von N-VA-Leuten mit denen aus den Tweets des US-Präsidenten verglichen werden. Auch Theo Francken wurde schon des Öfteren als "flämischer Donald Trump" bezeichnet.
Im vorliegenden Fall vielleicht auch, weil Bart De Wever eigentlich aus einem "Vertrag" aussteigt, den seine Partei eigentlich mit beschlossen hat. Mit Namen: dem Energiepakt. Erst vor einigen Wochen hatten sich der Föderalstaat und die Regionen des Landes auf diesen energiepolitischen Fahrplan verständigt. Darin wird insbesondere der geplante Atomausstieg nochmal bekräftigt. Entsprechend irritiert sind die Koalitionspartner, nicht nur die OpenVLD, sondern auch der CD&V-Vorsitzende Wouter Beke. Also, er könne nur feststellen, dass der N-VA-Chef jetzt von dem Abstand nehme, was seine Minister unterschrieben haben, beklagte Beke.
Dabei muss man daran erinnern, dass die N-VA eigentlich schon eine Klausel in den Energiepakt eingebaut hatte. Die besagt, dass man den Ausstieg aus der Kernenergie davon abhängig macht, ob die Versorgungssicherheit auch tatsächlich garantiert werden kann. Beobachter hatten das damals schon als mehr oder weniger eindeutige Hintertür bezeichnet.
Nur scheint De Wever den Pakt insgesamt inzwischen infrage zu stellen. "Dieser Pakt ist kein Pakt", sagt der N-VA-Chef. Ein Pakt würde ja auch gesellschaftliche Kräfte mit einbeziehen, was nicht der Fall sei. Hier sei das nur ein Stück Papier, unter das ein paar Minister ihre Unterschrift gesetzt haben und das Dinge enthalte, die er für unrealistisch halte: "Hier werden den Menschen doch Märchen erzählt", sagt Bart De Wever.
Märchen, an anderer Stelle spricht er auch von "heißer Luft"... De Wever also in seiner Paraderolle, der des Oppositionspolitikers. Dabei ist es völlig egal, dass seine Partei in Flandern und auf der föderalen Ebene in der Mehrheit sitzt.
Und diese fast schon schizophrene Haltung hat offensichtlich die OpenVLD-Vorsitzende Gwendolyn Rutten am Ende sogar auf die Palme gebracht. "Der Atomausstieg ist Gesetz", sagte Rutten in der VRT. "Wenn der Herr De Wever dieses Gesetz ändern will, dann braucht er eine Mehrheit. Die OpenVLD steht da nicht zur Verfügung", sagt Rutten: "Wir glauben nämlich nicht an eine Technik, die der Vergangenheit angehört."
"Und, ja, das ist ein Ausschlusskriterium", unterstreicht Gwendolyn Rutten. Heißt: Ihre Partei macht eine mögliche Regierungsbeteiligung vom Atomausstieg abhängig.
Die Koalition streitet also mal wieder und dem Land droht offensichtlich jetzt ein Dauerwahlkampf bis Juni 2019.
Roger Pint