Die Hochöfen werden angeblasen, im Hintergrund klingt die Europahymne. Wir befinden uns im Haus der europäischen Geschichte in Brüssel. Das Museum hat im vergangenen Jahr seine Tore geöffnet und soll die Geschichte des ganzen Kontinents erzählen.
Aber kann das funktionieren? Osten und Westen zusammen? Die englische Geschichte neben der griechischen? "Die ursprüngliche Idee geht darauf zurück, dass es in Europa viele nationalgeschichtliche Museen gibt und dass es eigentlich kein Museum gibt, das Geschichte aus der europäischen Perspektive erzählt", erklärt Museumsdirektorin Constanze Itzel.
"Man hat sich dann darauf geeinigt, dass man die historischen Prozesse zeigen möchte, die in Europa entstanden sind und die sich über den gesamten Kontinent ausgebreitet haben." Die Macher des Museums mussten also eine Auswahl treffen. Die Hochöfen etwa stehen für das Zeitalter der industriellen Revolution. Diese Revolution war nicht überall in Europa gleich. Aber trotzdem hat sie als gesellschaftliches Phänomen in unterschiedlicher Ausprägung auf dem gesamten Kontinent stattgefunden.
Diese europäische Perspektive soll das Museum bieten. Auf fast 5.000 Quadratmetern, verteilt über sieben Etagen, mit hunderten Ausstellungsobjekten, Texten und mehreren Stunden Filmmaterial – und all das auf allen 24 offiziellen Sprachen der Europäischen Union. Auch Führungen gibt es in allen Sprachen.
Rundgang per Tablet
Diese Vielsprachigkeit macht aber auch die Technik möglich. Das funktioniert so: Jeder Besucher erhält am Eingang einen Tabletcomputer. Das Gerät weiß zu jedem Zeitpunkt, wo der Besucher gerade ist und welche Ausstellungsgegenstände sich in seiner Umgebung befinden. Auf dem Display kann der Besucher dann auswählen, wozu er mehr erfahren möchte – und auf welcher Sprache.
"Das ist recht einfach zu benutzen", erklärt Museumsmitarbeiter Johann. "Nach einem Moment findet man sich zurecht". Seiner Erfahrung nach haben die Leute spätestens nach zwei Etagen verstanden, was mit dem Gerät alles möglich ist. Wenn man mehr ins Detail gehen möchte, kann man so Stunden im Museum verbringen.
Bei der jungen Generation kommt das Tablet auf jeden Fall sehr gut an. Schüler Jaime aus Frankreich findet die Ausstellung interessant: "Gerade das Tablet erklärt sehr gut, worum es geht, und mit den verschiedenen Sprachen kann jeder alles verstehen. Das ist schon raffiniert."
Krieg und Verbrechen
Fallende Bomben und totaler Krieg - auch das ist europäische Geschichte. Und das Museum spart sie nicht aus. Das führt allerdings auch zu Problemen, denn jedes Land sieht die konfliktreiche Geschichte Europas anders und tendiert dazu, negative Aspekte auszublenden – von Polens Rolle beim Holocaust bis hin zu Kolonialverbrechen von Belgiern in Afrika.
"Das Schwierige an unserem Museum ist, dass wir einen relativ kritischen Blick auf die Geschichte haben", erklärt Direktorin Constanze Itzel. "Wir zeigen auch die schwarzen Seiten der europäischen Geschichte. In den einzelnen Ländern ist der Blick auf die eigene Geschichte nicht so kritisch, da wird eher Heldengeschichte geschrieben."
Wer also über den Horizont der nationalen Sichtweise hinaus europäische Geschichte erleben möchte – noch dazu gut erklärt, mit modernster Technik und viel Interaktion – der sollte dem Haus der europäischen Geschichte in Brüssel einen Besuch abstatten. Der Eintritt ist frei.
Peter Eßer