Lange nicht mehr hat ein Gesetzesvorschlag für einen solchen Aufschrei gesorgt. Die linke Opposition, aber auch Magistrate, Anwälte, Menschenrechtsorganisationen, sogar die Kirche und Freimaurer-Logen, alle warnen vor dem Gesetzesvorschlag über die sogenannten "Wohnungsbetretungen". Das sei im Übrigen ohnehin nur ein vornehmes Wort für Hausdurchsuchungen, wiederholte die SP.A-Abgeordnete Monica De Coninck dann auch gleich nochmal die warnenden Worte von Juristen.
Der Gesetzesvorschlag von Asylstaatssekretär Theo Francken und Justizminister Koen Geens sieht vor, dass die Polizei Zugang zu Privatwohnungen bekommen kann, um einen illegal in Belgien lebenden Ausländer aufzugreifen und ihn dann in ein Abschiebelager zu bringen.
"Alle Leute, die auf dem Terrain arbeiten und die wir im Ausschuss angehört haben, haben den Text abgeschossen", wetterte Benoit Hellings von Ecolo. "Das war in der Zeit, Herr Premierminister, in der sie in Russland waren", sagt Hellings und fügt sarkastisch hinzu: "Russland, diesem schönen Paradies der Menschenrechte".
Schreckensvision
Zwar sieht der Gesetzesvorschlag vor, dass ein Untersuchungsrichter erst seinen Segen geben, sprich einen Hausdurchsuchungsbeschluss ausstellen muss, darauf soll es sich aber beschränken. Der Untersuchungsrichter hätte in der Folge keinerlei Aufsicht mehr über die Prozedur. Und eben diese Untersuchungsrichter sind denn auch quasi die ersten, die in dem Text eine Gefahr sehen. So sehr, dass es eigentlich nicht reichen würde, Verbesserungen an dem Entwurf anzubringen, sagt der PS-Abgeordnete Emir Kir. Nein, die Magistrate sind der Ansicht, dass es nur eine Möglichkeit gibt, nämlich: den Text zurückzuziehen.
Die Untersuchungsrichter hätten eine Schreckensvision geschildert, sagt auch Raoul Hedebouw von der PTB: "Eines Morgens werden wir wach und unsere Grundrechte sind nicht mehr garantiert." Die Sorge der Opposition in einem Satz: Am Ende müssten unschuldige Bürger damit rechnen, dass man ihnen das Haus auf den Kopf stellt, nur, weil sie Ausländer bei sich aufgenommen haben.
"Streng, aber menschlich"
"Und Herr Premierminister", wendet sich Wouter De Vriendt von Groen an Charles Michel, "sogar Liberale, also Leute aus Ihren Reihen, haben gesagt: "Nicht in unserem Namen". In der Tat: Besonders innerhalb der MR brodelt es. Es gab in den letzten Tagen gleich mehrere prominente Liberale, die hörbar ihre Bauchschmerzen zum Ausdruck gebracht haben...
Dann war eben der Premier an der Reihe. Zunächst verteidigte Charles Michel nochmal die Asylpolitik der Regierung, ihr Leitmotiv, dass da laute: "Streng, aber menschlich". Es sei doch legitim, dass man den Rechtsstaat durchsetzen wolle, wenn also diejenigen, die sich illegal in Belgien aufhalten, abgeschoben werden, wie es das Gesetz vorsieht. Aber, er sei auch nicht taub, sagt Michel sinngemäß. Deswegen werde er die Akte an sich reißen und jetzt auch persönlich die verschiedenen Akteure anhören, um sich die juristischen Einwände noch einmal genauer darlegen zu lassen.
Nach dieser Konsultationsphase werde er dann die Regierung und natürlich auch das Parlament über seine Schlussfolgerungen in Kenntnis setzen. Er übernehme also seine Verantwortung als Premier.
Michel übernimmt seine Verantwortung, aber er kauft wohl vor allem auch Zeit. Mit ein Grund dafür, dass sich MR-Parlamentarier auch auf Nachfrage am Donnerstagnachmittag nicht mehr äußern wollten. Die Opposition zeigte sich besänftigt, appellierte aber zugleich an den Premier, diese Zeit jetzt zu nutzen, um dafür zu sorgen, dass das Gesetz mit Blick auf die Grundrechte verbessert wird, besser noch: es ganz zurückzuziehen.
Roger Pint