Er habe viel Verständnis dafür, dass in Spanien gerade die Nerven blank liegen. Das sagte Michel am Donnerstagnachmittag, bevor der EU-Gipfel startete. Trotzdem gebe es keine Verstimmung. Und das war auch noch der Tenor von dem, was Michel nach der ersten Arbeitssitzung sagte. "Es gibt keinen Vorfall und auch keine Krise. Es gibt Interpretationen in den Medien von Äußerungen, die ich gemacht habe und zu denen ich stehe."
Es war vor allem das Interview, das die Zeitung Le Soir in ihrer letzten Samstagsausgabe gedruckt und das angeblich für Ärger in Madrid gesorgt hatte. Michel hatte darin erneut zum Dialog aufgerufen und das gewaltsame Vorgehen der spanischen Polizei beim Referendum in Katalonien verurteilt. "Ich glaube, dass alle Europäer mit mir einer Meinung sind, dass der politische Dialog die beste Lösung ist, politische Konflikte zu lösen. Und nicht die Gewalt", wiederholte Michel auch am Donnerstag wieder.
"Keine Krise"
Dass es wegen dieser Haltung Spannungen mit Madrid gegeben habe, gab er nur indirekt zu. Die Botschafter beider Länder hätten in den vergangenen Tagen im ständigen Kontakt miteinander gestanden, und würden auch weiter noch miteinander sprechen. Und: Nein, mit Rajoy habe er kein Gespräch über die angebliche Krise geführt. "Wir haben nicht darüber gesprochen", sagte Michel, "denn das wäre gar nicht nötig gewesen. Das ist der Beweis dafür, dass es keine Krise, keine Verstimmung zwischen uns gibt."
Die Körpersprache allerdings war eine andere. Als Rajoy sich zur ersten Arbeitssitzung an den Tisch der 28-EU-Staats- und Regierungschefs setzte, da gab er zunächst seinem linken Sitznachbar aus Schweden die Hand, dann ein kurzer Händedruck ohne Blickkontakt für Michel. Und schwupps, hatte sich Rajoy schon wieder dem Schweden zugewandt. Keine Krise? Nach großer Freundschaft sah es auch nicht aus.
Doch spielte das Thema Katalonien wohl eine kleinere Rolle auf dem Gipfel, als sich das so mancher Journalist gedacht hatte - offiziell zumindest. Was informell gesprochen wurde, kann nur erahnt werden. Doch große Bewegung gab es nicht. Die EU-bleibt bei ihrer Position, die Ratspräsident Donald Tusk auf Nachfrage auch nochmal darlegte. "Es ist kein Geheimnis", sagte Tusk, "dass die Situation in Spanien beunruhigend ist. Aber unsere Position, und damit meine ich die EU-Einrichtungen und die Mitgliedsländer, ist klar: Es gibt keinen Raum für Vermittlung oder internationale Initiativen."
Kritik von Bourgeois
Eine Haltung, die beim flämischen Ministerpräsidenten Geert Bourgeois von der N-VA weiter auf Unverständnis stößt. Wie Michel sieht er im Dialog den besten Weg aus der Krise. Am Donnerstagabend sagte er bei der VRT: "Ich verstehe durchaus die Argumente von Rajoy, wenn er sagt: Die Unabhängigkeitsbestrebung Kataloniens widerspricht unserem Recht. Ich verstehe aber auch die Logik der Katalanen. Da ist so ein massiver Volkswille. Und das schlechteste, das man in so einer Situation tun kann, ist nicht miteinander zu sprechen, den Dialog nicht zu suchen."
Dass die EU sich weigert, diesen Dialog anzustoßen, indem sie vermittelt, kritisiert Bourgeois. Die EU mische sich ja auch in Polen, Ungarn und jetzt auch in Malta ein, wo eine Journalistin durch eine Autobombe getötet wurde. Überall ist Einmischung möglich. Warum dann nicht in Spanien? Eine Antwort bekam Bourgeois natürlich nicht. Denn wie hatte Tusk zuvor ein paar Kilometer weiter nochmal gesagt - ganz förmlich gesprochen: "Es gibt keinen Grund für eine europäische Intervention."
Kay Wagner - Bild: Thierry Roge/Pool/BELGA