Der Fank muss es wie eine Verschwörung vorkommen: Gerade einmal eine Woche ist es her, dass Professor Walter Bogaerts von der Universität Löwen die Sicherheit der belgischen Atomanlagen wieder einmal öffentlich angesprochen hatte. Die Kritik von Bogaerts richtete sich vor allem auf die Reaktoren Doel 3 und Tihange 2. Die waren 2012 ja vom Netz genommen worden, weil Mikrofaserrisse in den Reaktorbehältern festgestellt worden waren. 2015 gingen die beiden Meiler wieder ans Netz. Vergangenes Jahr stellte man dann eine Zunahme der Risse fest. Wie kann sein, fragte Bogaerts, und forderte die Föderalagentur für Atomsicherheit, Fank, auf, die Meiler stillzulegen. Fank machte das nicht.
Jetzt kommt schon wieder Kritik aus der Universität Löwen, schon wieder sind die Mikrofaserrisse in Doel 3 und Tihange 2 das Problem. Dabei beteuern die beiden Verfasser der Studie, die Ingenieure René Boonen und Jan Peirs, dass sie keine Atomkraftgegner sind. Im Gegenteil: Atomenergie finden sie grundsätzlich gut. Allerdings nur, wenn sie sicher ist. Und das seinen Doel 3 und Tihange 2 nicht.
Mehr Wasserstoff, mehr Risse
Dabei stützen sie sich zunächst auf den gleichen Befund, den bereits Walter Bogaerts gemacht hatte. Der wiederholte am Dienstagabend bei der RTBF noch einmal seinen Standpunkt zu den neuen Rissen, die in den Meilern festgestellt wurden: "Neuer Wasserstoff ist festgestellt worden, und das ist vielleicht der Grund, warum sich die Risse vergrößern", sagte er.
Dass sich grundsätzlich Wasserstoff in der Stahlkonstruktion der Reaktorbehälter befindet, wurde schon beim Bau festgestellt. Und dass das zu Problemen führen kann, ist auch bekannt. Der Wasserstoff kann zu so genannten Wasserstoffversprödungen führen. Kleine Risse entstehen im Stahl. Das, was man bei den belgischen Atommeilern festgestellt hat.
Frage nur: Warum werden die Risse mehr? Die These der Ingenieure aus Löwen: Es könnte an der Vermehrung des Wasserstoffs liegen. Um dieser These nachzugehen beugten sich die Ingenieure über die Analysen von Electrabel und Fank, die diese zwischen 2012 und 2015 angefertigt hatten, um die ersten Risse zu erklären. Und tatsächlich: Die Ingenieure stellten darin Unregelmäßigkeiten fest.
Unregelmäßigkeiten
Das sei eben das Neue an der Studie, hob am Mittwochvormittag der Ecolo-Politiker Jean-Marc Nollet in der RTBF hervor. Die neue Studie stelle grundsätzlich die Hypothesen und die Vorgehensweise in Frage, mit der Electrabel und Fank in Bezug auf die Risse arbeiten.
Ein Kritikpunkt der Ingenieure: Die Behauptung der Fank, dass sich der Wasserstoff im Stahl nicht vermehrt habe. Dagegen setzen die Ingenieure ihre Berechnung: Die Menge des Wasserstoffs, die von Beginn an im Stahl war, würde bei weitem nicht ausreichen, um die heutige Anzahl der Risse zu begründen. These also: Es gibt mehr Wasserstoff und dadurch auch mehr Risse. Und: Irgendwie muss sich der Wasserstoff im Stahl vermehrt haben. Weiter gedacht heißt das: Es kann sich auch in Zukunft immer mehr Wasserstoff bilden, und dadurch könnten auch immer mehr Risse im Stahlbehälter entstehen.
Fank weist Vorwürfe zurück
Die Ingenieure schickten ihre Studie an die Fank. Aufgrund einer ersten Antwort stellten sie erneut Fragen. Dann brach Fank den Dialog ab, wie die Zeitung "Le Soir" am Mittwoch berichtet. Für Nollet ein Unding. Es sei inakzeptabel, dass Fank das Gespräch mit den Wissenschaftlern verweigere, ohne auf ihre Argumente einzugehen.
Fank-Direktor Jan Bens verteidigt sich hingegen mit den Worten: "Wenn ich auch nur den kleinsten Verdacht darauf hätte, dass es bei den Atomkraftwerken ein Sicherheitsrisiko gibt, würde ich sie vom Netz nehmen. In diesem Fall habe ich keinen Zweifel daran, dass die Anlagen sicher sind."
Das sehen nicht nur die Ingenieure aus Löwen anders, sondern auch Nollet. "Diese Atomkraftwerke müssen geschlossen werden. Sie sind im aktuellen Zustand zu gefährlich, weil man keine Erklärung für die 13.000 Risse in Doel 3 und die mehr als 3000 Risse in Tihange 2 hat. Bei so einer wichtigen Frage wie der Sicherheit der Atomkraftwerke, muss man alle möglichen Garantien für den Schutz unserer Bürger geben können. Aber auch für die Menschen in unseren Nachbarländern, in den Niederlanden und in Deutschland", sagt er.
Kay Wagner - Foto: Eric Lalmand/BELGA