Einschusslöcher in Fassaden. Zersplitterte Fensterscheiben. Ein Mann, der seinen Hund ausführte: niedergeschossen auf offener Straße, am helllichten Tag. Patronenhülsen auf dem Bürgersteig... Nein, das ist kein Ausschnitt aus einem Drogenhandel-Klassiker wie Scarface oder Narcos, das passiert in Antwerpen.
Elf Zwischenfälle mit Feuerwaffen allein im letzten halben Jahr. Die Kugeln seien durchs Fenster in die Wohnung gegangen, sagt ein Mann, dessen Fassade beschossen wurde. Seine Frau und sein Kind seien im Haus gewesen. Er habe Angst.
Die Vorfälle der letzten Wochen sind wohl der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die seit ein, zwei Jahren zu beobachten ist. Der Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever spricht inzwischen offen von einem "Drogenkrieg". Hier gehe es nicht um den Straßenverkauf, sondern um den Schmuggel von Kokain, das über den Hafen ins Land komme. Man erinnere sich nur an die Geschichte mit dem Kokain, das man 2013 in Bananenkisten entdeckt hat, die an sechs Colruyt-Supermärkte geliefert worden waren. Die Kisten waren aus Südamerika über Antwerpen ins Land gekommen.
30 Tonnen Kokain beschlagnahmt in 2016
Der Drogenschmuggel über den Antwerpener Hafen ist schon seit längerer Zeit eine der Top-Prioritäten der Polizei- und Zollbehörden. "Und gerade zuletzt sei man hier ungemein erfolgreich gewesen", sagt Stanny De Vlieger, Chef der Föderalen Kriminalpolizei Antwerpen. Allein im vergangenen Jahr seien im Antwerpener Hafen 30 Tonnen Kokain beschlagnahmt worden.
Diese Fahndungserfolge sorgen natürlich für eine gewisse Unruhe, und eben in letzter Konsequenz auch für die jüngsten Feuerüberfälle. "Es ist so", sagt Stanny De Vlieger: "Wer Drogen über den Hafen ins Land schmuggeln will, der braucht Kontakte vor Ort." Konkret: Die Anlagen sind jetzt derart gesichert, dass man da nicht mehr einfach so ein und ausgeht. Es müssen also Hafenarbeiter sein, die die Drogen aus dem Hafen herausbringen. "Und, wenn eine Ladung verloren geht, weil sie etwa beschlagnahmt wurde, dann werde natürlich nach Verantwortlichen gesucht", sagt der Chef der föderalen Gerichtspolizei. Und in eben diesen Situationen werden dann Leute bedroht oder eingeschüchtert.
Teufelskreis
Für die Polizei- und Justizbehörden fühlt sich das Ganze inzwischen mehr und mehr wie ein Teufelskreis an. Je mehr Drogen beschlagnahmt werden, desto mehr Gewalt gibt es wegen der verlorenen Lieferung. Und desto eher muss man auch davon ausgehen, dass die Banden zu anderen Mitteln greifen, um ihre Geschäfte weiterführen zu können. Teufelskreis auch in dem Sinne, dass man einfach kein Ende sieht, sagt Stanny De Vlieger. "Wir können noch so viel Leute festnehmen oder Ladungen beschlagnahmen, wir haben nicht den Eindruck, dass wir das System damit auf Dauer knacken, den Sumpf trockenlegen können." Eher im Gegenteil...
"Nicht zu vergessen", sagt der Chef der Gerichtspolizei Antwerpen: "Gerade im Zusammenhang mit Kokain geht es um richtig viel Geld." Und, wie heißt es so schön: Jeder Mensch hat seinen Preis. Deswegen warnen die Behörden in Antwerpen jetzt auch davor, dass die Drogenmafia versuchen wird, die Polizei oder die Zollbehörden zu infiltrieren. "Die Polizei schlägt Alarm", so denn auch heute schon die drastische Schlagzeile von De Standaard.
"Wir plädieren denn auch dafür, dass jetzt wirklich alle an einem Strang ziehen, dass alle zuständigen Behörden ihre Kräfte bündeln", sagt der Chef der Gerichtspolizei. Nicht umsonst sprach die Zeitung De Standaard schon von einem "War on drugs", einem Krieg gegen Drogen - eben fast wie in einem Hollywood-Film.
Roger Pint - Illustrationsbild: Kristof Van Accom/BELGA