Zwei Zahlen: 0,076 und 0,92. 0,076 mg/Kilo - das war die Fipronil-Konzentration, die die Afsca ermittelt hat. Für dieselbe Probe ergab die Gegenexpertise einen Wert von 0,92 mg/Kilo. Zum Mitschreiben: erst 0,07 und dann 0,92, das ist eine Steigerung um mehr als das Zehnfache. Und das buchstäblich über Nacht. 0,92: Damit lag die Fipronil-Konzentration plötzlich über dem europäischen Schwellenwert. Und zwar ziemlich deutlich: Die Norm wurde um fast ein Drittel überschritten.
Und mit dieser Feststellung war das Informationschaos perfekt. Bislang hatte die Afsca immer betont, dass keine der bislang untersuchten Proben Fipronil-Konzentrationen enthielten, die über dem europäischen Schwellenwert lagen. Diese Behauptung ist seit Dienstag also nicht mehr aufrechtzuhalten.
Und es war wohl diese neue Entwicklung, die die Regierung zum Handeln bewogen hat. "Endlich!", wie einige Zeitungen am Mittwoch betonten. "Wir ergreifen jetzt eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher", erklärte noch am Dienstagabend der föderale Landwirtschaftsminister Denis Ducarme.
Rückrufaktion und Telefon-Hotline
Und dann folgt gleich eine ganze Liste von Maßnahmen. Erstens: Eine ganze Reihe von Betrieben wurde umgehend blockiert. Die Überlegung ist die folgende: Wenn das erste Labor bei der Untersuchung wirklich einen Fehler gemacht hat, dann stimmen womöglich alle Ergebnisse nicht. Deswegen wurden also bis auf weiteres alle Geflügelbetriebe blockiert, die von eben diesem Labor kontrolliert wurden.
Zweitens: Die Eier aus dem Betrieb, in dem die überhöhten Werte festgestellt wurden, die würden jetzt zurückgerufen, sagte Ducarme. Die entsprechenden Identifikationsnummern sind inzwischen veröffentlicht worden. Die Chargennummern sind folgende: 2BE3084-02, 2BE3084-03, 2BE3084-06, 2BE3123-A, 2BE3123-B, 2BE3123-C, 3BE4004, 3BE4005, 1BE8016 und 3BE3114. Verbraucher können die Eier in die Geschäfte zurückbringen.
Drittens wird eine Hotline geschaltet, die die Fragen der Bevölkerung über das gesundheitsgefährdende Fipronil und die Folgen der Eierkrise, beantworten soll, sagte Ducarme. Die Gratis-Rufnummer ist seit 9:00 Uhr freigeschaltet, sie lautet: 0800/13.550.
Und schließlich würden die Kontrollen im gesamten Geflügelsektor noch einmal verschärft, so Ducarme. Das alles offensichtlich als Reaktion auf die Ergebnisse besagter Gegenexpertise, die wohl insbesondere die Regierung aufgeschreckt hat.
Viele offene Fragen
Stellt sich aber natürlich eine Frage: Warum weist ein und dieselbe Probe plötzlich eine zehn Mal höhere Fipronil-Konzentration auf? "Nun, wir haben dafür auch noch keine Erklärung", sagte Jean-Sébastien Walhin, Sprecher der Afsca, in der RTBF. Die Antwort auf diese Fragen können nur die beiden Labore liefern. Die entsprechende Analyse sei noch im Gange. Landwirtschaftsminister Ducarme betont ebenfalls, dass die Frage der unterschiedlichen Analyseergebnisse noch offen sei. Im Moment gelte aber nur eins: das Vorbeugeprinzip.
Die Regierung will also jegliches Risiko ausschließen, und das, bis die offenen Fragen geklärt sind. Offene Fragen gibt es in jedem Fall noch ziemlich viele - und die standen am Mittwoch natürlich auch im Mittelpunkt der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Landwirtschaft, Gesundheit und Wirtschaft. Das Parlament hatte am Wochenende beschlossen, möglichst schnell mit der Aufarbeitung zu beginnen, was also am Mittwoch dann auch passierte.
Im proppenvollen Sitzungssaal, wo auch viele ausländische Journalisten auf Antworten warten, ergriff zunächst Landwirtschaftsminister Denis Ducarme das Wort. Der präsentierte eine Zusammenfassung des Berichts, den er gerade erst von der Afsca bekommen hat.
Wussten die Niederlande längst bescheid?
Grob zusammengefasst: Ja, im Juni gab's Anzeichen für eine Fipronil-Kontamination. Die Afsca versuchte fieberhaft, das Problem einzugrenzen, das genaue Ausmaß zu ermitteln. Als potentiellen Ursprung machte man ein Unternehmen in den Niederlanden aus. Man wandte sich also an die holländischen Kollegen. Allerdings hätten die nur sehr zögerlich reagiert. Noch einen Monat nach dem Unterstützungsersuchen sei nichts passiert, habe man nicht über die Kundenlisten von besagtem Unternehmen verfügt. Die Afsca konnte also weiterhin das Problem nicht eingrenzen.
Dann ließ Ducarme aber eine Bombe platzen. Nicht nur, dass die Niederländer nicht reagiert hätten, sie hätten von dem Problem längst gewusst: Es gebe einen Bericht, in dem die niederländische Lebensmittelaufsicht den Minister vor einer Fipronil-Verseuchung warnt - und das war im November 2016. Und die Niederländer hätten das Problem nicht kommuniziert, fügt Ducarme hinzu. Ducarme räumte dann noch ein, dass die Afsca vielleicht auch schneller oder besser hätte kommunizieren können. Jetzt könnten sich aber alle Augen erstmal auf die Niederlande richten.
Zwei Unternehmen im Fadenkreuz
Zu den vielen offenen Fragen zählt auch die nach dem genauen Ursprung der Kontamination. Nach wie vor sind da vor allem zwei Unternehmen im Fadenkreuz.
Erstmal ein Betrieb aus der Nähe von Antwerpen, nämlich das Unternehmen Poultry-Vision. Die Firma soll das Reinigungsmittel verkauft haben, das mit Fipronil versetzt war. Bei einer Hausdurchsuchung sind dort auch 6.000 Liter Fipronil sichergestellt worden. Der Anwalt des Geschäftsführers räumte in der VRT ein, dass die Firma tatsächlich das fragliche Reinigungsmittel vertrieben hat. Verkauft habe man das Produkt aber keinem Geflügelbetrieb, sondern nur professionellen Reinigungsfirmen. Und was die damit machen, wie die das einsetzen, nun, da habe sein Mandant natürlich keinen Einfluss drauf.
Was dann zum zweiten Unternehmen führt, das im Fadenkreuz der Ermittler ist: Das ist die Firma Chickfriend, aus dem niederländischen Barneveld unweit von Utrecht. Dieses Unternehmen soll das Mittel großflächig eingesetzt haben.
Soweit bislang bekannt, ist das wohl der Weg, über den das Fipronil in die Ställe gekommen ist. Wer da jetzt die kriminelle Energie hatte, ist noch offen. Hat man in Antwerpen Firponil heimlich beigemischt? Oder hat die niederländische Firma das Mittel bewusst eingesetzt? Das müssen die gerichtlichen Ermittlungen noch zeigen.
belga/rtbf/vrt/dpa/est/rop - Illustrationsbild: Kristof Van Accom/BELGA