"Man mag es schade finden, aber es ist nunmal so: Der Brexit ist eingeleitet". In der Kammer gab's zunächst viele Worte des Bedauerns über die Tatsache, dass Großbritannien jetzt offiziell Artikel 50 der EU-Verträge aktiviert hat, der ja zum Austritt aus der Europäischen Union führen wird.
Jetzt muss allerdings noch über den Scheidungsvertrag diskutiert werden. Aus belgischer Sicht sind diese Verhandlungen ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite darf man den Briten jetzt keine Geschenke machen, warnte etwa der CDH-Abgeordnete Georges Dallemagne. Frau May könne nicht beides haben, die Butter und das Geld für die Butter. Der MR-Kollege Jean-Jacques Flahaux übersetzte das sogar in die Sprache Shakespeares.
Auf der anderen Seite muss Belgien aber aufpassen, dass man sich nicht in den eigenen Fuß schießt. Es gibt schließlich sehr rege Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich. Ob es nun ein weicher oder ein harter Brexit wird, wir müssen eigentlich dafür sorgen, dass es ein pragmatischer Brexit wird, meinte Vincent Van Peteghem von der CD&V.
Deswegen also die Frage: Welche Position will die belgische Regierung in diesen Brexit-Verhandlungen einnehmen? Nun, so unterstrich Premierminister Charles Michel zunächst: "Wir sind gut vorbereitet." Erstmal habe man sich mit den Teilstaaten ausgetauscht. 20 Sitzungen habe es gegeben, bei denen alle Regierungen des Landes am Tisch saßen. Und vereinbart wurde, dass es nach jeder wichtigen Verhandlungsetappe wieder eine solche Informationsversammlung geben wird.
Außerdem war ja im vergangenen Jahr auch auf Initiative des Wirtschaftsministeriums eine Expertenkommission ins Leben gerufen worden, die benannt wurde nach ihrem Präsidenten, dem Industriekapitän Paul Buysse. Aufgabe dieser Arbeitsgruppe war es unter anderem, die Auswirkungen des Brexit auf die belgische Wirtschaft einzuschätzen. "Wir haben es jetzt sozusagen schriftlich", sagte Charles Michel. "Belgien ist eins der Länder, das potentiell am stärksten von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit betroffen sein wird. Deswegen muss uns daran gelegen sein, dass es auch nach dem Ausstieg der Briten noch fruchtbare Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern gibt", sagte Michel.
Was aber nicht hieße, dass wir den Briten dafür den Roten Teppich ausrollen werden, fügte Michel sinngemäß hinzu. Wo da im Einzelnen die Grenzlinien gezogen werden sollen, das wird Ende April auf einem EU-Sondergipfel festgelegt. Aus belgischer Sicht könne er aber schon so viel sagen: "Die vier Freiheiten der Europäischen Union, die sind und bleiben die Grundbedingung für den Zugang zum europäischen Binnenmarkt."
Zu diesen vier Freiheiten gehört ja unter anderem die Personenfreizügigkeit, die Großbritannien ja nicht mehr umsetzen will. Charles Michel ließ es sich aber nicht nehmen, noch einmal auf die "Erklärung von Rom" zurückzukommen. Die war ja am vergangenen Wochenende anlässlich des 60. Geburtstages der EU verabschiedet worden. Darin festgehalten ist unter anderem das "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten". Das sei insbesondere den Belgiern ein Anliegen gewesen, sagte Michel: "Wir wollten erreichen, dass Gruppen von Ländern den Integrationsprozess weiter vorantreiben können, und damit verhindern, dass die EU in ihrer todbringenden Starre bleibt."
Das sei ein diplomatischer Erfolg, sagt Michel sichtlich stolz. Und tatsächlich war es er selber, der die Idee vor einigen Monaten erstmals ins Spiel gebracht hatte. Die Erklärung von Rom habe auch gezeigt, dass die EU durchaus noch handlungsfähig ist. Und generell sei er der Ansicht, dass eine Krise immer auch eine Chance ist, sagt Michel.
Gutes Beispiel dafür sei die Tatsache, dass die weltgrößte Versicherungsbörse Lloyd's of London jetzt seine EU-Zentrale in Brüssel ansiedeln wolle. Das stehe symbolhaft für den Esprit, mit dem die Belgier in die Brexit-Verhandlungen gehen wollen.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq (belga)