Kanada ist enttäuscht und sie persönlich sei sehr enttäuscht, sagte die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland. Kurz zuvor hatte sie den Verhandlungstisch in Namür verlassen. Den ganzen Tag lang hatte sie mit der wallonischen Regierung verhandelt und versucht, die Wallonen noch zu einer Zustimmung zum Freihandelsabkommen Ceta zu bewegen.
Doch hatte die Regierung um Ministerpräsident Paul Magnette bis zuletzt Bauchschmerzen, vor allem in Bezug auf die Schiedsgerichte, die Streitfragen zwischen Konzernen und Staaten beilegen sollen. Die entsprechenden Passagen seien nicht ausformuliert. Und er sträube sich eigentlich, die Katze im Sack zu kaufen.
"Jetzt kehren wir zurück nach Kanada"
Konkret geht es hier um eine Gefahr, auf die auch Nicht-Regierungsorganisationen immer wieder hingewiesen haben. Kritiker sagen, dass es eben über diese Schiedsgerichte denkbar ist, dass Konzerne Staaten dazu zwingen, von Gesetzesänderungen abzusehen. Die Unternehmen würden damit also die Gesetze mitschreiben.
Am späten Freitagnachmittag gab Freeland auf: Die EU sei derzeit offensichtlich nicht dazu imstande, ein internationales Handelsabkommen abzuschließen - sogar nicht mit Kanada, einem Land, das stolz auf seine Werte ist. "Jetzt kehren wir zurück nach Kanada", fügte Freeland hörbar bewegt und den Tränen nahe hinzu.
Juncker stinksauer
Damit steht Belgien mehr denn je mit seinem "Nein" alleine da. Alle anderen Länder haben der Unterzeichnung des Abkommens zugestimmt. Die meisten EU-Partner haben auf die wallonische Blockadehaltung bisher eher zurückhaltend reagiert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel oder auch der französische Präsident François Hollande wollten sich beispielsweise nicht weiter dazu äußern.
Ein anderer hingegen ist doch ziemlich undiplomatisch aus der Haut gefahren, nämlich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er könne das Ganze immer noch nicht fassen: Wenn die EU ein Handelsabkommen mit Vietnam abschließe, das bestimmt keine Musterdemokratie ist, dann sage keiner was. Und wenn man dann mit einem Land wie Kanada einen Vertrag abschließen wolle, das der EU doch so ähnlich ist, dann gingen alle plötzlich auf die Barrikaden... Wenn man die beißende Ironie da herausgehört hat, dann weiß man: Der Mann ist stinksauer.
Michel verzweifelt
Auch Premierminister Michel reagierte zerknirscht, enttäuscht und niedergeschlagen. Michel war zwar sichtlich um Fassung bemüht, es war ihm aber anzusehen, dass die letzten zwei Tage nicht die glücklichsten in seiner bisherigen Laufbahn waren. Man darf davon ausgehen, dass er doch vielen Kollegen erstmal erklären musste, was da los ist. Es ist kein Geheimnis, dass Michel das Abkommen mit beiden Händen unterschrieben hätte. Und auch Michel hat nach eigenen Worten in den letzten Tagen alles versucht, um die Wallonen doch noch zum Einlenken zu bewegen.
Noch bei der Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel war der Premier sichtbar um Fassung bemüht. Einige Male erklärte er, dass er jetzt nichts sagen wolle, was am Ende noch Öl ins Feuer gießt. Er hat sich wohl am Riemen reißen müssen, aber man hörte ihm seine Verzweiflung fast schon an. Klar ist das eine heikle Situation für Europa, klar ist Belgien da in einer heiklen Lage, klar bedauere er das Ganze, so Michel. Nur gebe es nunmal eine Demokratie und eine Verfassung - und beides respektiere er natürlich.
Ceta so gut wie tot
Fakt ist: Die EU steht an der Schwelle zu einer wirklich existentiellen Krise. Das sagte auch Charles Michel einige Male. Wenn Ceta scheitert, dann bekommt die EU ihre Handlungsunfähigkeit noch einmal schriftlich - und das in Form einer besonders peinlichen außenpolitischen Blamage. Wie man das noch abwenden kann, ist im Moment jedenfalls schleierhaft.
Eigentlich sollte das Freihandelsabkommen am nächsten Donnerstag unterzeichnet werden. Die EU-Kommission gibt die Hoffnung nicht auf, dass es am Wochenende doch noch zu einer Einigung kommt. Aber der emotionale Abschied der kanadischen Handelsministerin kann eigentlich nur eins bedeuten: Ceta ist so gut wie tot.
belga/rtbf/rop/mh - Bild: Gregor Fischer/DPA
Föderale Regierung: Separatisten. Regionale Regierung: das gleiche! Was für ein Land! Nationalismus ist im Kommen!!!
tot gesagte leben länger