Es war eine doch befremdliche Kammersitzung, die mit einem befremdlichen Moment begann: "Wir haben heute einen Brief bekommen", sagte Kammerpräsident Siegfried Bracke. "Der Premierminister bittet darum, ihm einen Aufschub für die Rede zur Lage der Nation zu gewähren, weil die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen sind."
Weiter steht in dem Brief: "Sobald die Verhandlungen abgeschlossen sind, wird der Premier natürlich in die Kammer kommen, um den Haushalt und die neuen Beschlüsse der Regierung vorzustellen." Die Mehrheit glaubte, damit sei die Sache wohl gegessen.
Pustekuchen! Es gab vielmehr eine Breitseite der Opposition. Alle hatten nur eine Frage auf den Lippen: "Wo ist die Regierung? Die scheint wohl in einen kollektiven Streik getreten zu sein", frotzelte Kristof Calvo von Groen.
Auf der Regierungsbank saß kein einziger Minister, auch kein Staatssekretär. "Niemand - das haben wir hier noch nie erlebt. Unglaublich!", wetterte die CDH-Fraktionsvorsitzende Catherine Fonck. "Es ist doch eine Frage des Anstands, dass wenigstens ein Regierungsmitglied dem Parlament die Ehre erweist", meinte auch die PS-Fraktionsführerin Laurette Onkelinx. Die Kammer erwarte nämlich eine Erklärung für den Aufschub der Regierungserklärung.
Willy Borsus nach der Pause dabei
Etwas kleinlaut ordnete der Kammerpräsident daraufhin eine Unterbrechung der Sitzung an. Als die Klingel wieder läutete, sah man dann den MR-Minister Willy Borsus in Richtung Regierungsbank schleichen. Der musste dann aber noch einmal ein Gewitter über sich ergehen lassen. Plötzlich entbrannte eine Debatte eben über die Gründe, warum Premier Michel nicht in die Kammer gekommen war.
Der allgemeine Tenor: Die ewigen Streitereien der Regierung und erst recht die jetzige Krise sind Gift. "Ausgerechnet jetzt leisten wir uns den Beginn einer Regierungskrise. Ausgerechnet jetzt, wo doch die Menschen und auch die Unternehmen Sicherheit und Halt brauchen", beklagte die flämische Sozialistin Meryame Kitir.
Die Opposition ließ es sich dann auch nicht nehmen, die CD&V, die für die Blockade verantwortlich gemacht wird, offen in ihrer Haltung zu unterstützen. Und es gab denn auch reihenweise vergiftete Geschenke nach dem Motto: Ihr seid die einzigen, die hier noch für soziale Maßnahmen steht - bleibt tapfer!
Besonders sarkastisch war da der Grüne Kristof Calvo, als er sich an den CD&V-Vorsitzenden Wouter Beke wandte: "Herr Beke, sie hatten noch nie so viel Unterstützung in diesem Parlament."
Roger Pint - Bild: Benoit Doppagne/Belga