"Die Landstreitkräfte haben ihre kritische Grenze erreicht", titelt Le Soir. Für den Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte, Generalmajor Jean-Paul Deconinck, steht seine Truppe am Scheideweg.
Vor allem der Einsatz der Soldaten im Antiterrorkampf lässt die Armee an ihre Grenzen stoßen. Seine Leute könnten nicht mehr trainieren, auch Auslandseinsätze stünden auf der Kippe. Und deswegen bestehe die Gefahr, dass wichtiges Wissen und Know-How am Ende verloren gehen, warnt De Coninck.
Belgien ist (vollständig/etwas/nicht) gescheitert
"Ist Belgien nicht doch ein failed state?", also ein gescheiterter Staat, so derweil die provokative Frage auf Seite eins von Het Laatste Nieuws und De Morgen. Beide Blätter können jedenfalls nur feststellen, dass in diesem Land viel schief gelaufen ist beziehungsweise immer noch schief läuft. "Dieses Land hat gleich sechs Ecken ab", konstatiert Het Laatste Nieuws. Konkret seien sechs staatliche Einrichtungen beziehungsweise Dienste inzwischen in einem jämmerlichen Zustand, unter anderem die Polizei, das Gefängniswesen oder die Bahn. Hier wird inzwischen quasi reihum gestreikt. "Widerstand regiert das Land", resümiert das Blatt. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Mal ist es Unterfinanzierung, mal ist es aber auch die konservative und starsinnige Haltung des Personals und der Gewerkschaften.
In gewissen Bereichen mag es tatsächlich so aussehen, als habe der Staat versagt, meint ein Experte in De Morgen. Man sollte aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Auch in anderen Ländern gibt es schwerwiegende Probleme, man denke nur etwa an das Gesundheitswesen in den USA oder zum Beispiel an das Debakel um den Berliner Flughafen.
"Auf die Mauer gekracht"
L'Écho ist da in seinem Leitartikel nicht so nuanciert. Man hat diesen Staat beziehungsweise den Öffentlichen Dienst in den letzten 30 Jahren blind kaputt gespart, meint das Blatt. Und wenn es irgendwo einen Ermüdungsbruch gab, dann hat man einfach nur ein Pflaster drauf geklebt. Parallel dazu jagte eine Staatsreform die nächste, was unter anderem dazu geführt hat, dass die politischen Verantwortlichkeiten auf absurde Art und Weise zersplittert wurden. Dieses Land ist gescheitert, meint L'Écho. Und die Mauer, auf die wir gekracht sind, die haben wir von sehr weit kommen sehen.
Das Wegschauen ist in diesem Land Volkssport Nummer eins, meint sinngemäß auch Le Soir. Wir alle haben die offensichtlichen Fehler und Fehlfunktionen einfach ausgeblendet. Politiker, Medien, wir alle haben bewusst oder unbewusst darauf gehofft, dass sich bitte nicht allzu viel verändert. Hauptsache: Der Norden und der Süden des Landes vertrugen sich einigermaßen. Jetzt stehen wir am Scheideweg. Entweder, wir nehmen das Land in die Hand, oder es geht in allen Belangen vor die Hunde.
Rezepte für den Öffentlichen Dienst
Unmittelbarer Anlass für all diese Überlegungen ist der Streik der Gefängniswärter, der ja nur der vorläufige Höhepunkt einer breiten Protestwelle insbesondere im Öffentlichen Dienst ist. Het Belang van Limburg glaubt, einen Lösungsansatz gefunden zu haben. Dieses Land muss mehr in Infrastruktur investieren. Man kann doch nur feststellen, dass die öffentlichen Gebäude oder Straßen oft in einem jämmerlichen Zustand sind. Bestes Beispiel sind eben die Gefängnisse. Auf der anderen Seite gibt es in diesem Land überdurchschnittlich viele Staatsbedienstete. Heißt: Dieser Staat gibt zu viel Geld für Personal aus. Und da bleibt nichts mehr für die Infrastruktur. Der Schlüssel ist also: Weniger, dafür besser bezahltes Personal und effizientere Arbeitsorganisation.
In Bezug auf den Streik der Gefängniswärter sieht Het Laatste Nieuws derweil nur eine Lösung, nämlich: eine Minimaldienstleistung im Streikfall, wie sie die Regierung ja auch etwa für die Bahn anstrebt. Es kann doch nicht sein, dass streikende Staatsbedienstete nicht nur die Häftlinge, sondern damit auch die Regierung quasi in Geiselhaft nehmen können. In keinem anderen Land müssen Gefängnisinsassen im Streikfall auf elementare Dinge verzichten. In den bestreikten Gefängnissen herrschen hierzulande inzwischen dagegen unmenschliche Lebensbedingungen, die jeder Beschreibung spotten. Eigentlich verbieten das das Verantwortungsbewusstsein und der Bürgersinn. Und in Ermanglung braucht man eben eine gesetzlich vorgeschriebene Minimaldienstleistung.
EU und Türkei - ideal und wirklicher
De Standaard und Gazet van Antwerpen beschäftigen sich in ihren Kommentaren mit dem Verhältnis zwischen der EU und der Türkei. Unmittelbarer Anlass ist der Aufruf von Altpremier Guy Verhofstadt, sich mit dem deutschen Satiriker Jan Böhmermann solidarisch zu erklären. Der liberale EU-Parlamentarier pocht jedenfalls darauf, dass die Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger, die in die EU einreisen wollen, nur dann eingeführt werden, wenn die Türkei auch wirklich alle Bedingungen erfüllt.
Alles schön und gut, aber es gibt ja noch die Wirklichkeit, gibt De Standaard zu bedenken. Und diese Realität sieht so aus: Der türkische Präsident Erdogan hat Europa in der Hand. Und ganz nebenbei hat die EU ihre Werte verraten. Wenn türkische Grenzpolizisten jetzt anscheinend schon auf Flüchtlinge schießen, dann tun sie das in unserem Namen und auf unsere Kosten.
"Wie mutig ist das EU-Parlament?", fragt herausfordernd Gazet van Antwerpen. Nur die Volksvertreter können den Deal mit der Türkei und insbesondere die Visaerleichterung noch verhindern. Frage ist nur, ob sie dabei wirklich das Risiko in Kauf nehmen wollen, dass die Türkei wieder ihre Grenzen öffnet.
Roger Pint - Bild: Dirk Waem/BELGA