"Die Jagd auf die 'falschen Kranken' ist eröffnet", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "TV-Beitrag löst Debatte aus", notiert das GrenzEcho auf Seite eins. "Nach der Reportage von Christophe Deborsu jetzt die Zahlen", schreibt De Morgen auf seiner Titelseite.
Die RTL-Reportage des Journalisten Christophe Deborsu, der in Verviers Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld gefilmt und interviewt hatte, ist heute das große Thema in den Kommentarspalten.
La Libre Belgique meint: Er wollte stören, das hat er erreicht. Man könnte sogar sagen, dass Deborsu mit seiner Reportage in Verviers einen Flächenbrand entfacht hat. Denn obwohl seine Reportage in französischer Sprache ausgestrahlt wurde, hat sie vor allem in Flandern für viel Aufsehen gesorgt. Dort wurde schnell das Bild des faulen Wallonen wieder hervorgeholt. Und das wiederum hat dem Journalisten viel Kritik eingebracht. Sich daran jetzt aber aufzuhalten und nur zu fragen, ob seine Polarisierung richtig oder falsch war, geht am Kern der Sache vorbei. Denn Deborsu hat nichts erfunden. Die Menschen, die er gefilmt hat und die sich im Sozialsystem eingenistet haben und gar nicht mehr arbeiten wollen, obwohl sie es könnten, die gibt es ja tatsächlich. Dieser Wirklichkeit muss man sich stellen. Die Reportage ist ein Aufruf, die Schwachstellen unseres Sozialsystems zu beheben, behauptet La Libre Belgique.
Anstoß für Diskussionen
Auch das GrenzEcho findet: Dass der Beitrag polarisiert, überrascht kaum. Der Titel ist überzogen, die Auswahl eng, die Zuspitzung gewollt. Und doch wäre es zu einfach, die Reportage als große Provokation abzutun. Sie berührt eine Diskussion, die Belgien seit Jahren beschäftigt. Wie bleibt ein Wohlfahrtsstaat tragfähig, dessen Ausgaben schneller wachsen als seine Einnahmen? Auch Schwarzarbeit ist ein Problem, das nicht ignoriert werden kann. Im besten Fall liefert die Doku einen Anstoß, offen über soziale Brüche zu sprechen, aber niemanden zum Feindbild zu machen, wünscht sich das GrenzEcho.
Gazet van Antwerpen ärgert sich: Zu viel wird jetzt über die Stigmatisierung der Sozialhilfebetrüger gesprochen, die in der Reportage zu sehen sei. Dabei ist die Botschaft des Beitrags doch die: Es ist gut, dass wir ein Sozialhilfesystem haben. Aber wenn wir es behalten wollen, müssen wir darauf achten, dass es nicht missbraucht wird. Damit ist der Beitrag auch eine scharfe Kritik an den Verantwortungsträgern in der Wallonie. Denn die tun viel zu wenig, um Missbrauch bei der Sozialhilfe zu bekämpfen. Einsicht scheint bei vielen auch nicht vorhanden zu sein. So hat PS-Chef Paul Magnette die Reportage als eine Karikatur bezeichnet. Mit so einer Haltung lässt sich die Situation natürlich nicht ändern, schimpft Gazet van Antwerpen.
In der Wallonie läuft etwas schief
De Tijd rechnet vor: In der Wallonie leben 2,3 Millionen Menschen, die im arbeitsfähigen Alter sind. Vergangenes Jahr haben 800.000 von ihnen nicht gearbeitet. In Flandern wohnen doppelt so viele Menschen wie in der Wallonie, aber die absolute Zahl der Arbeitslosen und Leistungsempfänger ist in Flandern niedriger als in der Wallonie. Diese Zahlen dürften schon klarmachen, dass da etwas nicht richtig läuft im Süden des Landes, behauptet De Tijd.
Le Soir kommentiert zum Bau der dritten U-Bahn-Linie in Brüssel: Gestern hat der Sonderausschuss im Brüsseler Parlament erstmals getagt, der sich mit den Gründen für die Kostenexplosion des Langzeitprojekts beschäftigt. Das Projekt soll mittlerweile doppelt so viel kosten wie ursprünglich geplant. Die Verantwortung dafür ist unklar. Und auch gestern wurde kaum Licht ins Dunkle gebracht. Aber es ist wichtig, dass das passiert. Die politischen Instanzen müssen hartnäckig bleiben. Denn es geht um Geld der Steuerzahler. Die demokratische Kontrolle der Ausgaben muss gewährleistet bleiben, mahnt Le Soir.
Nichts geschehen, viel passiert
Het Laatste Nieuws hält fest: Sieben von 50 Tagen sind bereits vergangen. Sieben Tage der Zeit, die Premierminister Bart De Wever sich noch gegeben hat, um mit seiner Föderalregierung einen mehrjährigen Haushaltsplan auszuarbeiten. Was hat es Neues in den sieben Tagen gegeben? Nicht viel, so hörte sich das gestern in der Kammer an. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn andere Ereignisse haben durchaus stattgefunden. Die Reportage bei RTL hat gezeigt, dass viel Geld im Sozialhilfesystem verschwendet wird. Der Rechnungshof hat die hohen Ausgaben für Berater angemahnt. In Flandern wurde der Missbrauch von Subventionen bekannt. Alles Wasser auf die Mühlen der MR. Denn die will ja keine neuen Steuern, sondern behauptet, dass alles durch Einsparungen gestemmt werden kann. Die vergangenen sieben Tage haben gezeigt, wo man zum Beispiel ansetzen könnte, behauptet Het Laatste Nieuws.
L'Echo berichtet: Die Konservativen im Europaparlament haben gestern zusammen mit den rechtsextremen Parteien Änderungen am Lieferkettensystem beschlossen. Zweierlei ist dabei bedenklich: Erstens ist das Gesetz jetzt seinem Sinn beraubt, denn nur noch wirklich große Unternehmen müssen sich um die Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette kümmern. Zweitens haben es die gemäßigten Parteien nicht geschafft, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen. Eine schlechte Nachricht für die Demokratie, betont L'Echo.
Kay Wagner