"Die Tränen in den Augen", titelt Het Laatste Nieuws. "Ein Besuch, der im Gedächtnis bleiben wird", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Tränen (und Geld) für die Ukraine", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Eine belgische Delegation unter Leitung von Premierminister Bart De Wever hat gestern die Ukraine besucht. Auf dem Programm stand auch die Ortschaft Butscha, wo russische Truppen in der Zeit nach dem Angriff auf die Ukraine ein regelrechtes Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet hatten. In der örtlichen Gedenkstätte war De Wever sichtlich ergriffen. "De Wever hatte in Kiew eine Milliarde Euro im Gepäck", bemerkt aber De Morgen. "Eine Milliarde und zwei F-16", präzisiert De Tijd. Der föderale Regierungschef hat in Kiew nämlich auch neue Hilfen für die Ukraine zugesagt: Eine Milliarde Euro pro Jahr bis 2029.
Zwischen Tränen und Möglichkeiten
"Das ist viel und nicht viel", findet Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Zumal besagte Milliarde nicht vom belgischen Steuerzahler finanziert werden soll. Vielmehr handelt es sich um die Renditen aus den in Belgien eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Inzwischen mehren sich die Forderungen, wonach Belgien besagte Vermögenswerte beschlagnahmen sollte; immerhin geht es hier um 200 Milliarden Euro. Allen voran der ukrainische Präsident Selenskyj ist dafür. De Wever hat dem gegenüber immer vor den möglichen juristischen Folgen gewarnt. Dennoch: Auch vor diesem Hintergrund wirkt die belgische Unterstützung in Höhe von einer Milliarde Euro pro Jahr irgendwie mickrig. Es hätte vielleicht ein bisschen mehr sein können.
Der Ukraine-Besuch der Belgier stand vor allem im Zeichen der Realpolitik, ist Het Laatste Nieuws überzeugt. Klar: Erstmal waren da die Emotionen von Bart De Wever. Ein Premier in Tränen, das sieht man nicht alle Tage. Demgegenüber steht aber die kalte militärische Realität. Die Minister der Föderalregierung hatten nämlich eine ganze Delegation von Vertretern der belgischen Rüstungsindustrie im Schlepptau. Die Unternehmen sind auf der Suche nach neuen Chancen und Möglichkeiten. Und gerade in der Ukraine passiert in diesem Zusammenhang momentan – naturgemäß – sehr viel. Mit zum Teil sehr einfachen Mitteln hat die Ukraine eine veritable Expertise im Bereich der Drohnentechnologie erlangt. So tragisch es ist, aber auch Kriege schaffen Chancen. Die Ukraine befindet sich derzeit zwischen Tränen und Möglichkeiten.
Das Ende der Kommerz-Tempel
Im frankophonen Landesteil sorgt ein neues Sozialdrama für Schlagzeilen: "Der Hyperschock", titelt etwa Le Soir. "Cora wird verschwinden und streicht 1.800 Arbeitsstellen", schreibt L'Echo auf Seite eins. Die Direktion hat gestern angekündigt, ihre sieben noch verbleibenden Hypermärkte in Belgien zu schließen: Zwei in Brüssel, fünf in der Wallonie.
Es ist das definitive Ende der Kommerz-Tempel, konstatiert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Die Entscheidung der Cora-Direktion reiht sich ja nur ein in eine ganze Serie von Umstrukturierungen, die die Branche in den letzten Jahren erschüttert hat. Die Zeiten der überdimensionierten Supermärkte, in denen man wirklich alles finden konnte, die sind vorbei. Den Garaus gemacht haben ihnen auf der einen Seite die Discounter, auf der anderen Seite der Online-Handel. Für die Hypermärkte gilt: Aus den Jägern sind Gejagte geworden.
"Opfer einer kollektiven Untätigkeit"
"Es ist die Chronik einer angekündigten Demontage", meint auch L'Echo. Das Ende von Cora war leider nur eine Frage der Zeit. Am Ende überwogen die Nachteile: zu groß, zu vielfältig, zu weit von den Stadtzentren entfernt. Es gibt heutzutage einfach zu viele Alternativen.
"Wir sehen hier das Ende eines Geschäftsmodells", ist auch La Dernière Heure überzeugt. Die Hypermärkte haben sich überlebt; weil die Zeiten sich verändert haben. Der Punkt ist: All das hat man kommen sehen. Wo war die Politik? Wo sind die Programme, die den Übergangsprozess begleiten könnten? Wo ist die nötige Unterstützung für die so oft beschworene Reindustrialisierung? Die 1.800 Mitarbeiter von Cora sind letztlich auch das Opfer einer kollektiven Untätigkeit.
Die Politik ist in jedem Fall jetzt gefragt, mahnt Le Soir. Mit einem Mal werden wahrscheinlich 1.800 Menschen auf dem Arbeitsmarkt landen. Vor allem für strukturschwache Regionen wie die Provinz Hennegau ist das ein herber Schlag. Zumal viele der gerade erst entlassenen Audi-Mitarbeiter ebenfalls aus dem Hennegau kommen. Für die Verantwortlichen in der wallonischen Region ist das eine wirkliche Herausforderung. Zumal das Sozialdrama bei Cora wohl nicht das letzte sein dürfte.
Die "unzuverlässigen Staaten von Amerika"
L'Avenir sieht das ähnlich. Eine ganze Branche ist im Umbruch. Und das ist hierzulande umso problematischer, als die Supermarkt-Dichte in Belgien besonders hoch ist. Fast nirgendwo anders findet man so viele Einzelhandelsgeschäfte wie hier. Parallel dazu zieht es die Kunden immer mehr in den Online-Handel oder ins benachbarte Ausland, wo die Preise manchmal wesentlich attraktiver sind. Wir alle – Verbraucher wie Politiker – tragen wohl eine Mitschuld an dem sozialen Blutbad bei Cora.
De Tijd schließlich beschäftigt sich mit der Zollkeule von US-Präsident Donald Trump. Die neuen Einfuhrgebühren sollen ja heute in Kraft treten. Verlierer sind hier in erster Linie die amerikanischen Verbraucher, meint das Blatt. Für sie sind die neuen Zölle in der Praxis gleichbedeutend mit der größten Steuererhöhung seit Jahrzehnten. Zugegeben: Die Grundfeststellung des US-Präsidenten ist nicht ganz falsch. Die Globalisierung hat für erhebliche Verwerfungen in der US-Wirtschaft gesorgt und zugleich Chinas Weg zur Großmacht geebnet. "Die Medizin" des US-Präsidenten ist aber vergleichbar mit Trumps Empfehlung während der Pandemie, doch einfach nur Bleichmittel zu trinken, um einer Ansteckung vorzubeugen. Oder, um es mal klar zu sagen: Gefährlicher Unsinn. Und selbst wenn am Ende noch Korrekturen an der Zollpolitik vorgenommen werden, so ist der Schaden schon angerichtet, mit Namen: Ein fundamentaler Vertrauensverlust. USA, das steht ab jetzt für die "unzuverlässigen Staaten von Amerika".
Roger Pint