"Ukraine-Krieg - Eskalation: Trump macht Selenskyj Vorwürfe", titelt das GrenzEcho. "Die Konfrontation", fasst L'Avenir zusammen. "Trump erniedrigt Selenskyj", so Het Nieuwsblad, Het Laatste Nieuws, Het Belang van Limburg und De Tijd fast gleichlautend. "Trump mobbt Selenskyj aus dem Weißen Haus - amerikanische Unterstützung für die Ukraine höchst unsicher", liest man bei De Standaard. "Trump und Selenskyj geraten aneinander, die Ukraine wankt", lautet die Überschrift bei L'Echo.
Für diejenigen, die noch gezweifelt hatten: Die Vereinigten Staaten haben die Seiten gewechselt, für Präsident Trump ist nicht mehr Russland der Feind, sondern die Ukraine, resümiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Dieser Kurswechsel lag zwar schon seit Wochen in der Luft, aber nun ist er definitiv. Es war ein nie dagewesenes Spektakel, wie der schon am Boden liegende Selenskyj von Trump und Vance in bester Schulhof-Tyrann-Manier noch zusammengetreten wurde. Warum unterstützt der Westen die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg? Weil hier unsere demokratischen Werte auf dem Spiel stehen. Klarer kann ein Konflikt doch gar nicht sein. Aber Trump teilt diese Werte nicht und zieht die Vereinigten Staaten aus dem westlichen Lager zurück. Die USA waren die erste Demokratie der Welt und nun sind sie die ersten, die das Licht wieder ausmachen. Während im Kreml die Sektkorken knallen, steht Europa am Scheideweg: Versuchen wir weiter, Trumps schärfste Kanten abzufeilen, tun wir weiter so, als ob wir Freunde wären, und hoffen darauf, dass er in dreieinhalb Jahren verschwindet? Oder zeigen wir Rückgrat, nehmen das Heft selbst in die Hand und kämpfen für unsere Werte? Letzteres ist im schlimmsten Fall sogar wörtlich zu nehmen, warnt Het Nieuwsblad.
Keine Worte
Es gibt keine Worte, um adäquat zu beschreiben, was da gestern im Weißen Haus passiert ist, wütet Le Soir. Keine Worte für einen US-Präsidenten, der nicht mal weiß, wann der Ukraine-Krieg begonnen hat, der lügt, wer der Aggressor und wer das Opfer ist, der sich auf Kosten ukrainischer Toter die Taschen füllen will. Es gibt keine Worte angesichts der so schmerzhaften öffentlichen Demütigung des tapferen ukrainischen Präsidenten, der öffentlichen und live übertragenen Erpressungsversuche Trumps, der das Weiße Haus in eine Mafia-Spelunke verwandelt hat, in der er seinen Opfern die Pistole an den Kopf hält.
Es gibt keine Worte für die Scham über Trump, die man fühlen muss und für die Bewunderung für den Mut des einzigen Staatsmanns, der sich wieder und wieder geweigert hat, das Knie vor Trump zu beugen. Und es gibt keine Worte für den unverantwortlichen, vulgären US-Präsidenten, der vor der versammelten Weltpresse auch noch damit prahlte, dass das doch Super-Fernsehen liefere. Am schlimmsten war aber sein Vorwurf, dass Selenskyj den Dritten Weltkrieg riskiere. Dabei sind es doch die zwei "Kaiser" der zwei außer Rand und Band geratenen Supermächte, die die Welt an den Abgrund treiben, wettert Le Soir.
Ein absoluter Tiefpunkt
Diese Dreiviertelstunde Live-Fernsehen aus dem Weißen Haus wird für immer in Erinnerung bleiben, kommentiert De Standaard - als beschämender Tiefpunkt der präsidialen Geschichte der Vereinigten Staaten. Das ist das offizielle Ende des Westens. Die Ukraine und Europa müssen es nun alleine aufnehmen mit ihren Feinden, ohne die militärische Unterstützung der USA. Ab nun ist es angebrachter, über das "Regime von Donald Trump" zu sprechen als über seine Präsidentschaft. Die Welt konnte gestern Abend live den ersten großen Clash mitverfolgen zwischen der echten Welt und der fiktiven Lügenwelt Trumps. Für Europa ist jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen, ein Charaktertest wie seit 70 Jahren nicht mehr: Die Ukraine Putin und Trump zu überlassen würde bedeuten, dass sich Europa selbst zum Vasallen degradieren würde. Wir haben also keine Wahl, betont De Standaard.
Auch wenn wir jeden Tag aufs Neue aus allen Wolken fallen bei Trump: Der live übertragene Zusammenstoß zwischen ihm und Selenskyj sprengt jegliche Vorstellungskraft, hält L'Avenir fest. Niemand, nicht einmal die amerikanische Regierung, hätte sich so ein Szenario vorstellen können. Trump hat sich wie ein wildgewordener TV-Cowboy aufgeführt. Damit hat er all die Anstrengungen aus verschiedenen Richtungen der vergangenen Wochen in einen Scherbenhaufen verwandelt. Lachen dürfte heute Morgen wohl nur Putin, der nun freie Hand hat, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterzuführen. Die Hoffnungen, die die Ukrainer vielleicht noch hatten, haben sich in einen Albtraum verwandelt. Und für den Rest der Welt ist klar: Auf die Vereinigten Staaten muss man auf der diplomatischen Bühne nicht mehr zählen. Europa muss nun schnellstens Verantwortung übernehmen, denn im Kreml ist der Champagner schon kalt gestellt, mahnt L'Avenir.
Man kann nur den Kopf schütteln
Nein, in puncto Luzidität ist es sicher keine gute Woche gewesen für Trump, merkt derweil Gazet van Antwerpen an. Zuerst teilte Trump in den sozialen Medien ein KI-generiertes Video, wie er sich die Zukunft des zerstörten Gazastreifens vorstellt - inklusive Trump-Hotels und einem goldenen Standbild von sich selbst. Dann scheint Trump auch an akutem Gedächtnisverlust zu leiden. Denn er leugnete, Selenskyj als "Diktator" bezeichnet zu haben, obwohl die Äußerung schwarz auf weiß vorliegt. Auch hier konnte man nur wieder den Kopf schütteln.
Die Gedankengänge Trumps werden immer wirrer und unnachvollziehbarer. Alles scheint davon abzuhängen, wie sein Kaffee am Morgen war. Das hat Folgen - selbst die amerikanische Wirtschaft beginnt, unter seinen unvorhersehbaren Kapriolen zu leiden. Trump wird noch bis 2029 in Washington sitzen. Langeweile werden wir bis dahin nicht erleben - Stabilität allerdings genauso wenig, seufzt Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt