"Der Papst konfrontiert mit den Opfern des Missbrauchsskandals", titelt Le Soir. "Das ist unsere Schande, unsere Demütigung", zitiert L'Avenir den Pontifex auf Seite eins. "Die Kirche muss sich schämen und um Verzeihung bitten", diese Worte von Papst Franziskus druckt La Libre Belgique auf ihrer Titelseite ab. "Die starken Worte des Papstes an die Adresse seiner Kirche", so die Schlagzeile von La Dernière Heure.
Beim ersten Tag seines Belgienbesuches stand auf dem Programm von Papst Franziskus erst ein Besuch im Königsschloss in Laeken und dann auch eine Stippvisite in Leuven. Eigentlich hat Anlass seiner Reise der 600. Jahrestag der Gründung der Katholischen Universität Leuven. Im Mittelpunkt stand letztlich aber doch fast ausschließlich der Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche. Und so klar und unmissverständlich wie Freitag hat sich Papst Franziskus noch selten zu diesem schmerzlichen Thema geäußert.
Ungewöhnlich deutliche Worte
Am Abend traf das Oberhaupt der Katholischen Kirche auch mit Opfern von sexuellem Missbrauch durch Kirchenangehörige zusammen. "Ich war positiv überrascht - ich habe einen Menschen gesehen", sagt einer von ihnen auf Seite eins von Het Belang van Limburg. "Die Opfer hatten ein "positives" Gespräch mit Franziskus", konstatiert auch das GrenzEcho.
Für den Papst war es bestimmt nicht seine einfachste Auslandsreise, glaubt L'Avenir in seinem Leitartikel. Als er die Einladung nach Belgien annahm, wusste Franziskus wohl sehr genau, was ihn hier erwarten würde. Ihm war wohl klar, dass man ihn mit dem Missbrauchsskandal und auch dem Umgang seiner Kirche mit diesen Missständen konfrontieren würde. Genau das ist passiert. Der Pontifex hat aber auch für seine Verhältnisse ungewöhnlich deutliche Worte gefunden. Er wich sogar überraschend von seinem Redemanuskript ab und bezeichnete den Missbrauch in der Kirche als eine Schande. Das darf man durchaus historisch nennen.
Gott sei Dank!
Am Freitag auf Schloss Laeken lag so ein Hauch von Generalabrechnung in der Luft, meint das GrenzEcho. Die belgischen Gastgeber sparten nicht mit beißender Kritik. Es habe viel zu lange gedauert, bis die Hilferufe gehört oder anerkannt wurden, betonte etwa der König. Der amtierende Premier Alexander De Croo wurde noch deutlicher und prangerte in ungewohnt direkter Weise die langjährige Vertuschung von Missbrauchsfällen an. Die Rede des flämischen Liberalen wird als ein starker Moment seiner Amtszeit in Erinnerung bleiben. Der Papst wirkte bei alledem fast ein wenig hilflos, um dann aber doch ungewöhnlich klare Worte zu finden. Hoffentlich werden die erhört. Sonst bleibt es am Ende wieder einmal bei den alten Lippenbekenntnissen.
"Schade, dass diese Botschaft nicht früher kam", bedauert seinerseits Het Belang van Limburg. Zumal, wenn man bedenkt, welche Ausmaße der sexuelle Missbrauch in der Katholischen Kirche angenommen hatte. Bester Beweis: Das geplante Schlusslied beim Gottesdienst im König-Baudouin-Stadion musste kurzfristig aus dem Programm gestrichen werden, weil es aus der Feder eines pädophilen Priesters stammt. Dass es so lange gedauert hat, bis die Kirche wirklich den Skandal erfasst hatte, das hat mit der Machtposition zu tun, die diese Institution seit Urzeiten hatte. Die Kirche war allgegenwärtig: in Schulen, in Krankenhäusern, am Arbeitsplatz. Die Kirche begleitete die Menschen buchstäblich von der Wiege bis zum Grab. Diese absolute Vorherrschaft, die Kontrolle über das Leben jedes Einzelnen, all das ist jetzt vorbei. Gott sei Dank.
Too little, too late
De Morgen sieht das genauso. Allein der Vergleich zwischen dem Besuch von Papst Johannes Paul II 1985 und der Visite von Papst Franziskus spricht Bände. Damals, vor knapp 40 Jahren, stand das Land regelrecht Kopf. Katholische Schulen karrten ihre Schüler mit Fähnchen bewaffnet zu den Open-Air-Gottesdiensten. Der Papst trat auf vor 150.000 jubelnden Gläubigen. Das war einmal. Die Zeiten, in denen die Kirchen - oder auch die Moscheen - den Ton und auch die Richtung in der gesamten Gesellschaft angaben, die sind vorbei. In diesem Zusammenhang sollte man sich auch mal die Frage stellen, ob die staatliche Finanzierung der Religionsgemeinschaften noch zeitgemäß ist.
Auch Het Nieuwsblad lobt die klaren Worte des Papstes. Franziskus benutzte in seiner Rede den italienischen Begriff "vergogna": Scham, Schande. "Die Kirche muss sich schämen". Noch interessanter war aber das, was der Pontifex dann noch hinzufügt: In zwei Sätzen distanzierte er sich von dem Scheinargument, wonach sexueller Missbrauch ja nicht nur in kirchlichen Kontexten passierte, sondern auch innerhalb von Familien, in Schulen oder in Sportvereinen. Seine Vorgänger haben eben auf diese Weise den Skandal in der Kirche immer zu relativieren versucht. Franziskus sagte dazu am Freitag klar und deutlich "Was anderswo passiert, das tut hier nichts zur Sache". Endlich! Allerdings: Auch das sind nur Worte. Franziskus muss dem jetzt noch Taten folgen lassen. Und es bleibt dabei: All das ist immer too little, too late: zu wenig, zu spät.
Alles Theater?
Franziskus hat sich eines in der Kommunikationswissenschaft altbekannten Taschenspielertricks bedient, glaubt seinerseits Het Laatste Nieuws. Wenn alle Welt erwartet, dass der Papst den sexuellen Missbrauch in seiner Kirche in zwei Sätzen abhandelt, dann fühlen sich zehn Sätze wie ein Kniefall an. Erst recht, wenn man ein paar starke Worte in den Mund nimmt, wie etwa "Schande" oder "Demütigung". In dem Moment fällt nicht weiter auf, dass man eigentlich wenig Konkretes sagt. Denn die alten Fragen bleiben offen: Wie will die Kirche als Institution mit diesem Skandal umgehen? Wird ein Entschädigungsfonds eingerichtet? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um solche Missstände in Zukunft zu verhindern? Premier De Croo hatte Recht: Worte alleine reichen nicht mehr. Ansonsten drohen die Opfer am Ende noch zu Feigenblättern zu werden.
Le Soir schlägt in dieselbe Kerbe. "Alles Theater", zischte schon der Priester und Vatikankritiker Rik Devillé. Sagen wir mal so: Fairnesshalber muss man die Worte hervorheben, die der Papst gewählt hat. Nur: "Scham", "Verzeihung", das ist zweifelsohne nötig, das reicht aber nicht, wenn danach nicht auch das Wort "Justiz" fällt. Und da lag schon immer das Problem. Für den Vatikan gab es immer nur eine Rechtsprechung, nämlich die eigene. Im Namen der fundamentalen Trennung von Kirche und Staat müssen jetzt eben die demokratischen Staaten dafür sorgen, dass der Gerechtigkeit genüge getan, und dass Recht gesprochen wird. In Belgien wird es jetzt Aufgabe der künftigen Arizona-Regierung sein, die Empfehlungen der diversen Untersuchungsausschüsse auch in die Tat umzusetzen.
Roger Pint