"Stop oder go? Tag der Wahrheit für Bart De Wever", titelt La Libre Belgique. "Abkommen oder kein Abkommen", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Letzter Versuch, um die Scherben zu kitten", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins.
Die Arizona-Konstellation steht auf Messers Schneide. Am vergangenen Sonntag hatte MR-Chef Georges-Louis Bouchez mit seinem Veto gegen eine Kapitalertragssteuer auf Aktien eine Krise ausgelöst. Die flämischen Sozialisten Vooruit verlangen eine solche Steuer auf Aktiengewinne, die frankophonen Liberalen sind seit dem vergangenen Sonntag prinzipiell dagegen. Ein erster Versuch, den Arizona-Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen, ist in der Nacht gescheitert. Es wird erwartet, dass Regierungsbildner Bart De Wever heute im Laufe des Tages einen allerletzten Anlauf starten wird, um eine mögliche Arizona-Koalition doch noch zu retten. "Niemand will die Schuld tragen für einen Crash", kann jedenfalls De Tijd nur feststellen.
Ein De Wever-Paradox
Der Optimismus, der sich nach der Wahl breitgemacht hatte, ist 75 Tage danach leider verdampft, konstatiert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Die Krise um die Kapitalertragssteuer hat dunkle Wolken über der Rue de la Loi aufziehen lassen. Und natürlich geht es hier nicht nur um den Inhalt, sondern auch um Egos. Wer ist der Chef am Tisch? Der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez verlangt jedenfalls anscheinend den Respekt, der einem "Mister 30 Prozent" gebührt. Und, in der Tat: Als der große Wahlgewinner im frankophonen Landesteil ist das durchaus legitim. Aber: Es ist nicht so, als hätte man die MR bislang ignoriert. In der sogenannten "Supernote" von Regierungsbildner Bart De Wever stehen Tabus, die vor nicht allzu langer Zeit noch völlig undenkbar waren. All das geht aber jetzt unter, weil der Konflikt zwischen MR und Vooruit den Blick jetzt einzig auf die Kapitalertragssteuer lenkt. All das bringt übrigens Bart De Wever in eine fast schon skurrile Lage: Der N-VA Chef ist über seinen Schatten gesprungen, hat einige seiner Prinzipien über Bord werfen müssen, und muss sich jetzt von Bouchez quasi noch belehren lassen. Und das alles, damit er, der flämische Nationalist, den belgischen Haushalt wieder in die Spur bringen kann.
L'Echo macht eine ähnliche Analyse. Die Arizona-Krise wird letztlich noch befeuert durch eine Art Lupeneffekt: Man redet nur noch über die Kapitalertragssteuer. Würde man herauszoomen und das große Ganze betrachten, dann würde das innere Gleichgewicht dieser "Supernote" deutlich. Und vor allem die klare Absicht, tiefgreifende Reformen durchzuführen. Aber, in der Tat: Es ist schon paradox, dass der frankophone Wunsch nach rechten Reformen gebremst werden muss von einer flämischen Mehrheit, die etwas weiter nach links tendiert.
Von einer Villa in eine 50-Quadratmeter-Wohnung?
Het Nieuwsblad hat in dieser Geschichte aber auch noch einen anderen Buhmann aufgetan, nämlich den König. Genauer gesagt kritisiert die Zeitung das Reiseverhalten des Staatsoberhauptes. Um den Regierungsbildner empfangen zu können, musste Philippe zweimal innerhalb einer Woche seinen Urlaub unterbrechen. Am Montag etwa kam er aus dem französischen Nantes nach Brüssel. Nötig waren dafür erst ein Hubschraubertransfer und dann ein Flug mit dem Falcon-Jet. Wahrscheinlich sehen wir morgen das gleiche Prozedere. Das ist vernichtend für das Image, das sich das Königshaus seit Jahren geben will. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Für das Reiseverhalten von König Philippe gibt es nur ein Wort: weltfremd.
Im frankophonen Landesteil sorgt eine skurrile Geschichte im Zusammenhang mit den anstehenden Kommunalwahlen für dicke Schlagzeilen: "Julie Taton in Mons: Was für eine Saga!", titelt etwa La Dernière Heure. L'Avenir spricht schon von einem "Grabenkrieg um Julie Taton". Die Ex-Miss Belgien und frühere Fernsehmoderatorin Julie Taton war am 9. Juni auf einer MR-Liste in die Kammer gewählt worden. Wegen ihrer Popularität wollte MR-Chef Georges-Louis Bouchez die 40-Jährige nach Mons holen, um an seiner Seite bei den Kommunalwahlen zu kandidieren. Taton verlegte also ihren Wohnsitz nach Mons. Angeblich lebt sie jetzt in einer Apartment-Wohnung, die übrigens Bouchez gehört. Nur hat der Revierpolizist sie dort bislang nicht angetroffen. Deswegen hat die Stadt ihre Kandidatur nicht akzeptiert. MR-Chef Bouchez sprach in diesem Zusammenhang sinngemäß von einem PS-Komplott.
Kein Ruhmesblatt für die Demokratie
In dieser Geschichte sind tatsächlich durchaus Zweifel erlaubt, meint La Dernière Heure. Julie Taton soll also ihre Villa in der Provinz Wallonisch-Brabant eingetauscht haben für eine 50-Quadratmeter-Wohnung? Natürlich ist das ein reines Wahlkampf-Manöver. Illegal ist das Ganze aber dafür nicht. Julie Taton und die MR sind auch längst nicht die Einzigen, die auf solche Kniffe zurückgreifen. Eine kleine Gesetzesänderung würde reichen, um solche Praktiken zu unterbinden: Man könnte etwa verlangen, dass die Betreffenden seit mindestens zwölf Monaten in der Gemeinde wohnen.
Die ganze Geschichte ist jedenfalls gehörig entgleist, beklagt L'Avenir. PS und MR haben sich hier schon die tollsten Sachen an den Kopf geworfen. Die eine Seite spricht von einem "Betrugsversuch", die andere stellt die Unparteilichkeit der Verwaltung infrage. Was für ein jämmerliches Schauspiel! Hier zeigt sich eindrucksvoll die Nervosität, die inzwischen in den umkämpften Städten und Gemeinden herrscht. Eigentlich sollte es jetzt aber um die Sorgen und Nöte der Bürger gehen. Die Schlammschlacht um Julie Taton ist vor diesem Hintergrund mal wieder kein Ruhmesblatt für die Demokratie.
Roger Pint