"N-VA-Chef Bart De Wever ist Regierungsbildner", titelt das GrenzEcho. "De Wever will neue Regierung bis zum 20. September", schreiben fast gleichlautend De Morgen, Het Laatste Nieuws und Gazet van Antwerpen über ihre Aufmachergeschichten. "Wie Bart De Wever versuchen will, sich als Premierminister aller Belgier zu etablieren", notiert La Libre Belgique auf Seite eins.
N-VA-Chef Bart De Wever ist von König Philippe gestern zum föderalen Regierungsbildner ernannt worden. Het Laatste Nieuws kommentiert: So belgisch wie heute war der flämische Nationaltag, der 11. Juli, noch nie. Der einflussreichste flämische Nationalist, Bart De Wever, ist auf dem Weg, Premierminister zu werden. Der ehemalige Vorsitzende der flämischen Volksbewegung, Peter De Roover, ist gestern Kammervorsitzender geworden und damit offiziell erster Bürger des Landes.
Ob die beiden das selbst geglaubt hätten, wenn man ihnen das vor 20 Jahren erzählt hätte? Tatsächlich ist es bemerkenswert, wie belgisch die beiden Nationalisten und insgesamt die N-VA geworden sind. Eine Wandlung hat sich vollzogen. De Wever verkörpert sie ziemlich gut. Vom Revolutionär ist er zum Reformer geworden; vom provozierenden Einzelgänger zu einem Politiker, den alle schätzen. Opfer dieses Wandels sind der Konföderalismus oder gar die Unabhängigkeit von Flandern. Sie werden immer mehr zur Fata Morgana, glaubt Het Laatste Nieuws.
Schere im Kopf
De Morgen bemerkt: Stillschweigend hat sich die N-VA zu einer staatstragenden Partei entwickelt. Niemand verkörpert den Wandel besser als Bart De Wever. Die Sozialisten waren früher für ihn die Quelle allen Übels – heute will er unbedingt mit ihnen regieren. Über die Wallonen ließ De Wever nie ein gutes Wort fallen – heute spricht er davon, dass er eine prosperierende Wallonie möchte, von der auch Flandern dann profitieren kann. Heute ist Bart De Wever ein Politiker, der sich bestens mit dem königlichen Palast zu verstehen scheint und bejubelt wird auf Seite eins der Zeitung Le Soir, beobachtet De Morgen.
Het Nieuwsblad hält fest: Die Schere im Kopf wird sicher bleiben, wenn De Wever wirklich Premierminister werden sollte. Denn Flandern liegt De Wever immer noch mehr am Herzen als ganz Belgien. Als Premier müsste er sich aber um das ganze Land kümmern. Gleichzeitig muss er auch an seine Wähler denken. Die N-VA war mit der Forderung nach einer Staatsreform in die Wahlen gegangen. Irgendetwas in diese Richtung muss De Wever erreichen. Gerade mit den Partnern MR und Les Engagés wird das nicht einfach, weiss Het Nieuwsblad.
Angst vor zu viel Erfolg
Het Belang van Limburg berichtet: Die flämische Volksbewegung hat den neuen Regierungsbildner bereits gewarnt. Ohne große Staatsreform wird die gelb-schwarze Wählerschaft nicht zufrieden sein. Die Nationalisten legen die Latte also hoch. Doch zwischen den Zeilen hört man aus dieser Drohung Angst. Die Angst, dass De Wever es zu gut machen könnte als Premierminister. Dass er nämlich gute Politik für das ganze Land machen könnte, wodurch die Gründe für mehr Selbstbestimmung von Flandern wegfallen könnten. Man darf gespannt sein, wie De Wever sich in diesem Spannungsfeld zwischen flämischen Forderungen und nationalen Aufgaben bewegen wird, notiert Het Belang van Limburg.
Zur aktuellen Krise bei Audi Brüssel kommentiert Le Soir: Die angekündigte Umstrukturierung, die Entlassung vieler Mitarbeiter und die mögliche Schließung des Werkes – all das hätte verhindert werden können. Denn wo ist sie geblieben, die große Steuerreform, um die Arbeitskosten in Belgien zu verringern? Was haben die Regionen gemacht, um Wiederaufschwungspläne in die Tat umzusetzen? Was ist mit den Versprechen einer Reindustrialisierung? All das wurde vernachlässigt, auf später verschoben. Die Zeche zahlen jetzt die Beschäftigten von Audi. Die belgische Autoindustrie geht zugrunde, weil die Politik aus dem Ende von Kohle und Stahl nichts gelernt hat, schimpft Le Soir.
Mit Renault fing alles an
L'Echo erinnert: Vor 30 Jahren haben die damals noch fünf in Belgien existierenden Automobilhersteller auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Befürchtungen geäußert, die sie für die Zukunft des Standorts Belgien haben. Von der Politik wurde die Botschaft nicht gehört. Renault schloss als Erster sein Werk. Wenn jetzt Audi schließt, bleibt nur noch Volvo übrig. Ein Trauerspiel, beklagt L'Echo.
De Standaard rät: Die Parteien, die gerade über die Bildung einer neuen Regierung sprechen, sollten den Fall Audi als Auftrag verstehen. Den Auftrag nämlich, so etwas in Zukunft zu vermeiden. Und klar: Das ist nicht einfach. Denn neben den strukturellen Veränderungen in Belgien selbst, müssen auch die weltweiten Verflechtungen der Industrie berücksichtigt werden. Auch Krisen beeinflussen den Erfolg von Unternehmen. Business as usual ist aber keine Alternative, unterstreicht De Standaard.
Kay Wagner