"Wir zählen auf euch!", titelt l'Avenir. "Stellt euch auf die Hinterbeine!", fordert sinngemäß La Dernière Heure auf Seite eins. Viele Zeitungen blicken nach Köln, wo die Roten Teufel heute Abend ihr zweites EM-Gruppenspiel bestreiten. Gegen Rumänien muss ein Sieg her, ansonsten ist die Europameisterschaft schon vorbei. "Zweite Chance für die Roten Teufel", so denn auch die Schlagzeile von Le Soir. "Die Mission ist klar: Ohne Witsel, aber mit Vertonghen müssen die Roten Teufel gewinnen", schreibt Gazet van Antwerpen. "Retten die Teufel in Köln ihre Haut?", fragt sich De Standaard auf seiner Titelseite. Het Nieuwsblad ist aber zuversichtlich. "Die Jungs wissen, was sie tun", ist das Blatt überzeugt.
Neben der wichtigsten Nebensache der Welt geht es heute aber auch um die bittere Realität. "Die EU-Kommission verlangt eine Sparanstrengung in Höhe von 25 Milliarden Euro", so die Aufmachergeschichte von Le Soir. Pro Jahr wird die künftige Regierung fünf Milliarden Euro auftreiben müssen und das bis zum Ende des Legislaturperiode 2029. Das ist enorm und das dürfte wohl in allen Bereichen spürbar werden. Die EU-Kommission hatte ja am vergangenen Mittwoch ein Strafverfahren gegen Belgien und sechs weitere EU-Länder eingeleitet wegen zu hoher Neuverschuldung.
Düstere Zwanziger?
Die Rüge der EU-Kommission spielt dem Informator Bart De Wever in die Karten, glaubt sinngemäß De Standaard in seinem Leitartikel. Mehr noch: Europa gibt dem N-VA-Chef die Möglichkeit und die Mittel, Belgien regelrecht zu stürmen. In ihren Empfehlungen fordert die Kommission all die Maßnahmen, die ohnehin längst überfällig sind, zu denen sich aber niemand wirklich durchringen konnte. Da geht es nicht nur um den Haushalt und die Staatsschuld, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit, nötige Investitionen oder die grüne beziehungsweise digitale Transformation. Dem Informator dürfte all das wunderbar ins Konzept passen. Er kann jetzt seine Revolution durchführen, indem er letztlich nur buchstabengetreu umsetzt, was die EU-Kommission empfiehlt. Und in der Welt von Bart De Wever dürfte das schon einer kleinen Staatsreform gleichkommen.
Da gibt es nur ein Problem, nämlich die Perspektive, meint nachdenklich Het Nieuwsblad. Die jetzt nötigen Sanierungsanstrengungen sind vergleichbar mit dem Globalplan, den der damalige Premier Jean-Luc Dehaene 1993 dem Land aufs Auge gedrückt hatte. Nur: Damals gab es ein klares Ziel. Belgien musste sich für den Euro qualifizieren. Hätte man die Vorgaben nicht erreicht, dann wäre die Einheitswährung hierzulande nicht eingeführt worden. Damals gab es also eine sehr konkrete Perspektive. Diesmal sieht das aber anders aus. Diesmal geht es nicht um die Zukunft, sondern um die Vergangenheit, um die Haushaltslöcher, die in den letzten Jahren entstanden sind. Als Motivation taugt das nur bedingt. Eher wirkt das wie eine kalte Dusche. Denn eigentlich hatte man doch gehofft, dass nach der Corona-Krise eher sorglose Zeiten anbrechen würden, nach dem Vorbild der Goldenen Zwanziger. Die beste Perspektive, die die nächste Regierung bieten kann, das wären Stabilität und Vertrauen. Das ist der Vivaldi-Koalition nämlich nicht gelungen. Und übrigens: Nach dem Globalplan sind die damaligen Regierungsparteien vom Wähler nicht abgestraft worden. Vielmehr wurden sie belohnt, weil sie die Probleme endlich angepackt hatten.
Ansporn statt Strafe
Bart De Wever muss dennoch die Quadratur des Kreises hinbekommen, analysiert De Tijd. Denn nicht nur, dass die Regierung vor einer Herkules-Sanierung steht, wie das Land sie seit den 1990er Jahren nicht erlebt hat. Die künftige Regierung wird zugleich investieren müssen. Dieses Land braucht nämlich eine Industriepolitik, die diesen Namen auch verdient. Denn schon jetzt blinken die meisten Warnleuchten orange. Ganz zu schweigen von den sonstigen Herausforderungen, die im Übrigen längst bekannt sind: Die Energiewende und die Sicherung der Renten, um nur die zwei wichtigsten zu nennen. Der unerwartete Ausgang der Wahl vom 9. Juni eröffnet zweifelsohne Perspektiven. Denn es droht kein politischer Starrkrampf, sondern die Konstellation erlaubt tatkräftige und tiefgreifende sozialwirtschaftliche Reformen. Die Daumenschrauben der EU-Kommission sollten dabei nicht als Strafe betrachtet werden, sondern als Ansporn, um zu tun, was getan werden muss. Nicht für Europa, sondern für uns selbst; zur Rettung des Wohlstandes.
Dass sich etwas bewegen muss, das zeigt sich manchmal an scheinbar eher beiläufigen Episoden, bemerkt La Libre Belgique. "Ich werde Ihnen jetzt mal die Wahrheit sagen". Mit diesem fast schon mysteriösen Satz leitete Eric Domb seine Rede zum 30sten Geburtstag seines Tierparks Pairi Daiza ein. "Was mag da jetzt wohl kommen?", haben sich da wohl viele Anwesende gefragt. "Will Eric Domb irgendeine bahnbrechende Entscheidung verkünden?". Nein! Seine Botschaft war schlicht und einfach: Müsste er seinen Tierpark heute gründen, so wäre das "völlig unmöglich". Das ist also seine Wahrheit. Und die ist ernüchternd, traurig, aufrüttelnd. Diese Feststellung muss für die künftigen Regierungen ein Weckruf sein. Wenn Unternehmer ihre Visionen in diesem Land nicht mehr umsetzen können wegen administrativer, politischer oder ideologischer Hürden, dann haben wir ein Problem. Belgien und insbesondere die Wallonie brauchen Unternehmer, die ihre Träume wahr machen können.
Roger Pint