"Bouchez verliert keine Zeit", titelt Het Laatste Nieuws. "MR und Les Engagés verlobt und in der Wallonie bald verheiratet", so die Schlagzeile von L'Avenir. "MR und Les Engagés geben sich das Jawort", notiert auch das GrenzEcho. "Zusammen, überall", so bringt es Le Soir auf den Punkt.
Die liberale MR und die Zentrumspartei Les Engagés haben gestern angekündigt, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Das gilt zunächst für die Wallonische Region und die Französische Gemeinschaft, wo beide eine Mehrheit haben. Auf der föderalen Ebene und in der Region Brüssel-Hauptstadt wollen beide Parteien ab jetzt im Tandem auftreten.
Georges-Louis Bouchez und Maxime Prévot machen jetzt Nägel mit Köpfen, meint L'Avenir sinngemäß in seinem Leitartikel. Die beiden Parteipräsidenten wollen jetzt – für alle sichtbar – ihre Effizienz unter Beweis stellen. Zugleich heben sie aber auch die Dringlichkeit hervor. Denn es muss schnell gehen. Es gibt keine Zeit zu verlieren. "Time is money", im wahrsten Sinne des Wortes. Der erste Coup ist den beiden Parteipräsidenten jedenfalls gelungen. Die Kommunikationsstrategie trifft ins Schwarze. Aber die Herausforderungen sind enorm. MR und Les Engagés werden sich am Ende – wie jeder – an ihren Taten messen lassen müssen.
"Azzurra-Koalition" mit verschiedenen Blauschattierungen
Die blauen Liberalen und die türkisfarbenen Les Engagés, eigentlich könnte man hier von einer Azzurra-Koalition sprechen, meint augenzwinkernd La Dernière Heure. Zwar sehen wir hier verschiedene Blauschattierungen, das muss aber nicht automatisch heißen, dass die Koalitionsverhandlungen einfach werden. Die MR steht wesentlich weiter rechts als Les Engagés. Die Partei von Maxime Prévot steht der Zivilgesellschaft zudem wesentlich wohlwollender gegenüber, also den Gewerkschaften, den Krankenkassen und der Welt der Vereinigungen. Beide könnten sich die Rollen aufteilen, nach dem Motto "guter Bulle, böser Bulle". Dabei darf der eine aber nicht den anderen erdrücken. Fest steht in jedem Fall, dass die Wallonie jetzt ein neues Ziel hat, neue Wege beschreiten soll. Das allerdings gilt es jetzt noch festzuklopfen.
Wie entwickelt sich jetzt das "System Bouchez"?
Der Eröffnungszug von MR und Les Engagés hat jedenfalls schon mal gesessen, meint anerkennend Le Soir. Keine 48 Stunden nach der Bekanntgabe der Ergebnisse legen Bouchez und Prévot schon los. Das Wahlergebnis ist in der Tat so eindeutig, dass die Katze nicht mehr um den heißen Brei herumschleichen musste. Beide stehen aber unter erheblichem Erfolgsdruck. Sie wollen schließlich beweisen, dass ohne die Linken alles besser läuft. Ein Scheitern würden ihnen ihre Wähler nicht verzeihen.
Wir sehen hier in jedem Fall den bislang größten Triumph von Georges-Louis Bouchez, analysiert sinngemäß das GrenzEcho. Die Strategie des streitbaren liberalen Chefs ist vollends aufgegangen: er, der mit seiner Heckenschützen-Mentalität trotz Mehrheitsbeteiligung mit der Vivaldi-Koalition hart ins Gericht ging. Man muss kein Anhänger von Georges-Louis Bouchez sein, um diesem Erfolg Respekt zu zollen. Frage ist jetzt, wie er sich in Zukunft positionieren will. Beobachter sehen ihn schon als den nächsten wallonischen Ministerpräsidenten. Das bisherige "System Bouchez" scheute die politische Verantwortung wie der Teufel das Weihwasser. Er wird sich nun entscheiden müssen, ob er weiterhin aus sicherer Entfernung auf die politische Konkurrenz feuern will, oder sich an vorderster Front der Gefahr aussetzt, selbst ins Visier zu geraten.
Eine verkehrte Welt
"Im Süden des Landes beginnt die Regierungsbildung, der Norden folgt noch nicht", konstatiert derweil De Tijd auf ihrer Titelseite. Der N-VA-Chef und Wahlsieger Bart De Wever hat gerade erst mit seiner ersten Konsultationsrunde begonnen. Aber eigentlich zwingt sich in Flandern auch nur eine Koalition wirklich auf, nämlich ein Bündnis aus N-VA, CD&V und Vooruit. "Die Wallonen erhöhen jetzt den Druck auf De Wever", glaubt Het Nieuwsblad.
Die Ausgangslage hat sich in jedem Fall schon mal drastisch verändert, ist Gazet van Antwerpen überzeugt. "Die Wallonie wählt links, Flandern wählt rechts", das war bislang das Mantra von Bart De Wever, die tausendfach wiederholte These von den "zwei verschiedenen Demokratien". Nun, so wie die Karten im Moment liegen, sehen wir buchstäblich eine verkehrte Welt. Wenn in Flandern eine Koalition aus N-VA, CD&V und Vooruit das Ruder übernimmt, dann steht Flandern streng genommen sogar linker als die Wallonie. Und, gehen wir doch mal optimistisch an die Sache dran: Im Gegensatz zu den vorherigen Regierungsbildungen werden sich diesmal wohl nicht unendlich viele Informatoren, Vermittler, Schlichter oder königliche Gesandte die Klinke in die Hand geben müssen. Die Puzzle-Stücke liegen jetzt außerordentlich günstig. Und die Parteien wollen offensichtlich keine Zeit verlieren.
"Flandern liegt im Moment irgendwie in der Wallonie"
"Flandern liegt im Moment irgendwie in der Wallonie", meint auch augenzwinkernd Het Laatste Nieuws. Im Süden des Landes haben Bouchez und Prévot den Ton angegeben: demonstrativer Reformwille, betont schnelles Handeln und eine unverhohlen rechtsgerichtete Agenda – die Flamen können den Wallonen im Moment nur hinterher schauen.
Die Wallonie läuft Flandern im Moment den Rang ab, glaubt auch De Standaard. Wobei man freilich zugeben muss, dass die Karten im Süden des Landes doch etwas günstiger liegen. MR und Les Engagés verfügen über eine solide Mehrheit und sind ideologisch auf einer ähnlichen Wellenlänge. In Flandern werden sich N-VA und CD&V erst noch mit Vooruit einigen müssen. Die flämischen Sozialisten waren in Flandern bislang in der Opposition. Sie fordern einen deutlichen Kurswechsel, denn genau deswegen wurden sie gewählt. Für die Sozialisten geht es hier um ihre Glaubwürdigkeit. Sie werden ihre Haut teuer verkaufen.
Bart De Wever wird dadurch in die Zange genommen, analysiert Het Nieuwsblad. Bislang konnte er die Parteien immer gegeneinander ausspielen, um sich selbst möglichst viele Pfründe zu sichern. Das wird diesmal nicht gehen. Die N-VA wird ihren möglichen künftigen Koalitionspartner einige Trophäen überlassen müssen. Hinzu kommt: Seine voraussichtlichen frankophonen Partner haben wesentlich deutlich mehr als er den Wind in den Segeln. Das alles nur, um zu sagen: Das, was logisch erscheint, muss in der Politik dafür nicht automatisch schnell gelingen. Ein Erfolg ist aber Pflicht, um zu zeigen, dass man das Signal der Wähler verstanden hat.
Roger Pint