"20.000 Klima-Demonstranten sind gestern durch das Zentrum von Brüssel gezogen", meldet De Morgen auf Seite eins. "20.000 Menschen demonstrieren in Brüssel, Anuna De Wever: 'Es ist Zeit für Revolution'", liest man bei Gazet van Antwerpen. "Das Klima mobilisiert 25.000 Personen", fällt die Bilanz von Le Soir zum gestrigen Klimamarsch in Brüssel höher aus.
Het Belang van Limburg blickt in seinem Leitartikel auf die Klimakonferenz der Vereinten Nationen: Am Wochenende haben 22 Staaten für eine Verdreifachung der Produktion von Kernenergie bis 2050 plädiert. Darunter sind die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Südkorea. Sie argumentieren, dass das notwendig ist, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren und klimaneutral zu werden. Niemand bestreitet mehr, dass Kernenergie im zukünftigen Energiemix ihren Platz hat. Wer aus fossilen Brennstoffen aussteigen will, hat keine andere Wahl, denn die Revolution der erneuerbaren Energien passiert nicht schnell genug. Dennoch hat Belgien sich der Erklärung nicht angeschlossen. Eine Verdreifachung der nuklearen Kapazität war wohl zu viel des Guten. Allerdings plädiert Premierminister Alexander De Croo dafür, die Laufzeit der zwei jüngsten Reaktoren des Landes nicht nur um zehn Jahre zu verlängern, wie aktuell geplant, sondern um 20 Jahre. Diese Aussagen sind wohlgemerkt nicht von der Regierungskoalition gedeckt. Energieversorgungssicherheit wird damit zu einem wichtigen Punkt im Wahlkampf werden, glaubt Het Belang van Limburg.
Bekannte Probleme und keine Lösung
La Dernière Heure befasst sich mit einer anderen Umweltproblematik: Das Internationale Zentrum für Krebsforschung hat die Chemikalie PFOA als "bei Menschen krebserregend" eingestuft, PFOS gilt als "möglicherweise krebserregend". PFOS ist in Europa seit 2009 verboten, PFOA seit 2019 – aber dennoch finden sich die Chemikalien noch immer im belgischen Trinkwasser, teilweise in viel zu hohen Konzentrationen. Dieser neue Gesundheitsskandal ist der x-te in einer unendlichen Saga. Wir wissen schon lange, dass Abgase unsere Luft verschmutzen, dass Nitrit im Schinken schädlich ist, dass Pestizide wie Glyphosat eine große Gefahr darstellen. Diese Fakten liegen alle auf dem Tisch. Was wir atmen, essen und trinken, kann unsere Gesundheit gefährden. Wir erwarten deshalb von der Politik, die größten Verschmutzer zu einem Paradigmenwechsel zu zwingen, fordert La Dernière Heure.
L'Avenir kommt auf den jüngsten Terroranschlag in Paris zurück. Die Aussagen des Attentäters erinnern an die des Terroristen von Arras. Und sie haben noch mehr gemein: Beide waren bei den Behörden als radikalisiert aktenkundig. Der Angreifer von Paris war zwischen 2016 und 2020 auch schon wegen Vorbereitung eines Anschlags im Gefängnis gewesen. Diese Profile kennen wir auch in Belgien, siehe Ermordung des Polizisten Thomas Monjoie. Auch jetzt stellen sich wieder die gleichen Fragen wie immer: Warum waren diese Personen auf freiem Fuß, obwohl sie als radikalisiert bekannt waren? Damit kommt auch wieder die delikate Frage auf den Tisch, wie diese Personen nach ihrer Freilassung begleitet werden. Und was soll man mit ihnen machen? Sie im Gefängnis lassen, obwohl bekannt ist, dass sie dort noch mehr radikalisiert werden? Sie abschieben, wie es die Extremisten fordern? Das sind keine wirklichen Lösungen, Repression funktioniert nicht. Die Antwort muss Bildung lauten. Ohne jemals aufzugeben, appelliert L'Avenir.
Kein Verständnis für Antisemitismus
La Libre Belgique kommentiert die Wiederaufnahme der israelischen Offensive im Gazastreifen: Israel nimmt damit nicht nur in Kauf, palästinensische Zivilisten zu töten, sondern gefährdet damit auch die Leben der verbleibenden 137 israelischen Geiseln. Die Regierung Netanjahu ist der Hamas in ihre barbarische Falle gegangen und hat sich selbst in eine ausweglos scheinende Situation manövriert, in der sie kaum noch Rücksicht auf internationales Recht nimmt. Das hat schon zu immer mehr internationalen Aufrufen zur Mäßigung geführt. Israel hat zwar das Recht sich zu verteidigen, aber die Regierung scheint den Affront vom 7. Oktober mit einem vernichtenden militärischen Sieg vergessen machen zu wollen. Ohne Rücksicht auf den menschlichen Preis, befürchtet La Libre Belgique.
Gazet van Antwerpen beleuchtet das aktuelle Verhältnis zwischen den jüdischen und muslimischen Gemeinschaften in der Scheldestadt und das Problem von zunehmendem Antisemitismus. Am Wochenende hat es auch Demonstrationen von beiden Seiten gegeben, mit teilweise scharfen Tönen. Glücklicherweise hat keine der Gemeinschaften die Absicht, den Nahostkonflikt zu importieren, die Lage ist aber weiter angespannt. Es ist schwierig und sehr brisant, eine Position in diesem furchtbaren Konflikt einzunehmen. Aber es darf kein Verständnis geben für die Zunahme des Antisemitismus, schon gar nicht, wenn er sich gegen Kinder richtet. Diese Botschaft kann man gar nicht deutlich genug machen, meint Gazet van Antwerpen.
Was will Bart De Wever eigentlich?
Die flämischen Leitartikel befassen sich aber auch mit dem N-VA-Vorsitzenden Bart De Wever und seiner Ankündigung, mit seiner Partei auch in der Wallonie antreten zu wollen: Er macht sich aber keine Illusionen, hier viele Sitze erobern zu können, hält Het Nieuwsblad fest. Es geht ihm darum, seine Konföderalismus-Vorstellungen auch im südlichen Landesteil unters Volk zu bringen. Das Ziel scheint vor allem gewesen zu sein, am Wochenende im Rampenlicht zu stehen – und das ist gelungen. Die Chance, dass wir noch viel von der wallonischen N-VA-Liste hören werden, ist eher klein. Aber warum fordert Bart De Wever nicht gleich einen föderalen Wahlkreis, dann könnte er in der Wallonie persönlich Wahlkampf führen. Eigentlich ist er nur noch um Haaresbreite von dieser Forderung entfernt. Und das kann doch nicht wirklich sein Ziel sein, wundert sich Het Nieuwsblad.
Wenn es De Wever ernst wäre mit dem Konföderalismus, dann müsste die N-VA auch bereit sein, bestimmte Zuständigkeiten zurück an die föderale Ebene zu übertragen, die besser gemeinsam geregelt werden könnten, betont Het Laatste Nieuws. Zum Beispiel das Fluglärm- und Flugrouten-Dossier. Aber jede Form der Reföderalisierung ist ein absolutes Tabu für die N-VA, denn das würde ein unabhängiges Flandern wieder einen Schritt weiter in die Ferne rücken lassen. De Wever weiß aber auch, dass eine Mehrheit der Wähler eine Aufspaltung Belgiens nicht unterstützt. Sein neuer Vorstoß scheint deshalb nicht mehr zu sein als die Verzweiflungstat eines Parteivorsitzenden, der sich an der Spitze halten will. Solche Manöver können die so notwendige nächste Staatsreform auch weiter erschweren, warnt Het Laatste Nieuws.
Boris Schmidt