"Weitere Geiseln aus Gaza nach Israel gebracht", titelt das GrenzEcho auf Seite eins. "Die heftigen Emotionen der Freigelassenen", so Le Soir unter einem Foto eines israelischen Vaters, der seine freigekommene Tochter in die Arme schließt. "Hamas lässt 58 Geiseln frei, aber der Albtraum ist noch nicht vorbei", ergänzt Gazet van Antwerpen. "Vermittler machen Überstunden – Wird die Kampfpause zwischen Israel und der Hamas halten?", fragt De Morgen.
Die meisten Leitartikel befassen sich ebenfalls mit dem Nahostkonflikt, allerdings mit einem spezifisch belgischen Aufhänger: Premierminister Alexander De Croo hatte ja in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez die Krisenregion besucht. Die Äußerungen der Europäer insbesondere zur Lage im Gazastreifen hatten dabei zu empörten Reaktionen vonseiten der israelischen Regierung geführt.
De Croo sieht sich aber auch heftigen Angriffen aus Belgien ausgesetzt: Der N-VA-Abgeordnete Theo Francken hat ihm in einem Interview mit einem israelischen Sender unter anderem Antisemitismus vorgeworfen.
"Die Hamas hat einmal mehr gewonnen"
Die Angriffe, denen sich De Croo nach seinen Äußerungen zum Konflikt ausgesetzt sieht, waren vorhersehbar, kommentiert La Dernière Heure. Dabei hat der Premier nichts anderes getan, als die offizielle Linie der Regierung zu wiederholen und eine humanitäre Feuerpause zu fordern.
De Croo hat dabei auch explizit das Recht Israels anerkannt, seine Bürger gegen den Horror der Hamas zu verteidigen. Aber er hat auch betont, dass das Ausmaß der Zerstörung im Gazastreifen nicht hinnehmbar ist. Diese Position, die auch mit Europa abgesprochen ist, ist richtig. Aber zwischen denen, die finden, dass sie nicht weit genug geht und denen, denen sie schon zu weit geht, findet sich kaum noch jemand, der diese Linie noch wirklich unterstützt. Das beweist, dass die Hamas einmal mehr gewonnen hat, sie hat es geschafft, zu spalten, beklagt La Dernière Heure.
Unser Premierminister hat keinen einzigen diplomatischen Fehler begangen, betont auch L'Avenir. Seine Aussagen, die trotz deutlicher Verurteilung der Hamas auch die Kriegsführung Israels kritisieren, spiegeln auch wider, dass die öffentliche Meinung in Europa kippt. So, wie sie es auch in den Vereinigten Staaten tut. Das Hauptziel Israels ist nach wie vor, die Hamas zu vernichten.
Aber ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ist dieser Kampf von vornherein verloren. Ja, Israel hat absolut das Recht, sich zu verteidigen. Aber es muss dabei das internationale humanitäre Recht respektieren und den Schutz der Zivilisten garantieren. Das ist es, was eine echte Demokratie ausmacht, unterstreicht L'Avenir.
Unhaltbare Vorwürfe
Man mag De Croo ja vorwerfen können, ein zahnloser Premier zu sein oder ein katastrophaler Parteiführer, schreibt Het Laatste Nieuws. Aber auf der internationalen Bühne macht er Eindruck, gemeinsam mit seinem spanischen Amtskollegen hat er da Mut und Klarheit demonstriert, wo Europa lange eine deutliche Haltung vermissen ließ.
Das macht wieder einmal stolz, Belgier und Europäer zu sein. Viele in unserem Land glauben sogar, dass De Croo und Sanchez noch härtere Worte hätten wählen müssen.
Antisemitismus-Vorwürfe sind schon längst zu einem politischen Totschlagargument der israelischen Regierung gegen Kritiker geworden. Den Preis dafür zahlen Juden auf der ganzen Welt, die sich tatsächlich mit zunehmendem Antisemitismus konfrontiert sehen, warnt Het Laatste Nieuws.
Die Vorwürfe Theo Franckens, dass De Croo vollkommen pro-Palästina und zu hundert Prozent anti-Israel ist, sind unhaltbar, betont De Morgen. Genauso wie die Behauptung Franckens, dass Regierung und Behörden dem Antisemitismus in Belgien freie Hand lassen. Francken versucht, aus einem der traurigsten Konflikte der jüngeren Geschichte billig politisches Kapital zu schlagen. Er will die Vivaldi-Koalition koste es, was es wolle, in ein schlechtes Licht stellen, ein Wahlkampfmanöver der übelsten Sorte. So werden das noch sehr lange Monate werden bis zum Urnengang, befürchtet De Morgen.
Was hat Theo Francken da bloß geritten?
Francken ist wie Netanjahu, so Het Nieuwsblad, Polarisierung ist genau ihr Ding. Der N-VA-Abgeordnete hat De Croo unter anderem unterstellt, bei Migranten auf Stimmenjagd gehen zu wollen, mit seiner Kritik an Israel. Dabei ist hier für Liberale wenig zu holen.
Die Wahrheit ist doch eher, dass Francken es mal wieder knallen lassen wollte. Seine wichtigsten Waffen dafür sind Polarisierung und noch mehr Polarisierung. Es gibt Umstände, unter denen man schlau genug sein sollte, um diese Waffen einen Moment schweigen zu lassen – so wie eben beim furchtbaren Krieg in Gaza. Die Polarisierung in so einer Situation weiter zu befeuern, ist opportunistisch und unverantwortlich. Oder einfach nur sehr dumm. Auch das ist eine Möglichkeit, giftet Het Nieuwsblad.
Auch Het Belang van Limburg fragt sich in seinem Leitartikel, was Theo Francken da wohl geritten hat. Was hofft er mit seinem knallharten Oppositionspoltern gegen den Premier im fernen Ausland zu erreichen? Will er sich so im nächsten Jahr Stimmen aus israelischen Kreisen sichern? Will er bei seinem Parteivorsitzenden Bart De Wever punkten? Wir können nur raten.
Eines aber ist sicher: Francken hat mit seinen Aussagen nur sich selbst geschadet. Das Ganze illustriert aber auch die Nervosität der N-VA. Seitdem die flämischen Nationalisten 2018 die föderale Regierung wegen des Marrakesch-Pakts verlassen haben, haben sie ein Viertel ihrer Wähler eingebüßt. Und das Ende der Talfahrt ist noch nicht in Sicht, gibt Het Belang van Limburg zu bedenken.
Boris Schmidt