"Die Kehrtwende von Rutten", titelt Het Nieuwsblad. Het Belang van Limburg spricht seinerseits von der "blauen Kehrtwende". "Innerhalb von zwei Wochen von der Politikaussteigerin zur Ministerin", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. De Morgen formuliert es etwas plastischer: "Erst der Mittelfinger, jetzt Ministerin."
Die frühere Open-VLD-Vorsitzende Gwendolyn Rutten legt heute den Eid als neue flämische Ministerin ab. Sie wird Nachfolgerin des zurückgetretenen Bart Somers. Eigentlich hatte sich die 48-Jährige gerade erst von der nationalen Politikbühne verabschiedet. Weil sie nicht zur Nachfolgerin des zurückgetretenen Justizministers Vincent Van Quickenborne benannt worden war, kündigte sie mit giftigen Worten ihren Rückzug aus der nationalen Politik an. Keine drei Wochen später wird sie jetzt also plötzlich Ministerin.
"Ist das das schnellste politische Comeback aller Zeiten?", fragt sich denn auch Gazet van Antwerpen. De Standaard und De Tijd sprechen ihrerseits vom "unwahrscheinlichsten Comeback des Jahres".
Ein zynisches Machtspiel?
"Wie soll der Wähler da noch durchblicken?", fragt sich De Standaard in einem kritischen Leitartikel. Denn was liest man auf der Webseite von Gwendolyn Rutten? "Nein! Ich werde mich nicht für ein Ministeramt entscheiden! Ich werde sechs Jahre lang mein Amt als Bürgermeisterin von Aarschot wahrnehmen; ich gebe Ihnen mein Wort." Das nennt man wohl ein gebrochenes Versprechen. Gwendolyn Rutten mag tatsächlich die mit Abstand geeignetste Frau sein, um den Posten von Bart Somers zu übernehmen. Aber erstmal vermisst man da doch die versprochene Erneuerung. Was bleibt, das ist der Eindruck eines zynischen Machtspiels, bei dem es in erster Linie um persönliche Interessen geht.
Die jüngste Rochade bei den flämischen Liberalen ist mindestens bemerkenswert, meint auch Het Nieuwsblad. Weder Freund noch Feind würde Gwendolyn Rutten ihre Qualitäten absprechen. Aber darum geht es hier nicht. Nein, was wir hier sehen, das ist eine Politikerin, die jetzt doch auf einen freigewordenen Thron gesetzt wird und die es sich darauf auch gleich gemütlich macht. Das Ganze folgt auch einem lupenreinen parteipolitischen Kalkül: Auf diese Weise bleibt Gwendolyn Rutten der Partei als Spitzenkandidatin für die Provinz Flämisch-Brabant erhalten. Zynischer kann es echt nicht mehr werden. Denn hier werden alle Vorurteile bestätigt, nämlich dass sich Politiker allein um sich selbst und um ihre Partei kümmern.
Die Seifenoper der Open VLD
"Mein Gott, wie peinlich ist das denn?", empört sich auch Het Laatste Nieuws. Man sollte wirklich meinen, dass die flämischen Liberalen den Begriff "Pöstchenjäger" als Synonym für sich beanspruchen wollen. Noch vor weniger als drei Wochen hatte Rutten die Tür dermaßen wuchtig zugeknallt, dass fast die Scheiben rausgeflogen wären. Sie werde sich aus der nationalen Politik zurückziehen. "Berühmte letzte Worte", kann man da nur sagen. Dem Wähler wird bei alledem fast schon schwindlig. "Ceci n'est pas un parti", meint Het Laatste Nieuws in Anlehnung an René Magritte. "Das ist keine Partei, das ist eine Seifenoper."
"Keine Soap Opera ist besser als die Open VLD", meint auch Gazet van Antwerpen. Denn was für eine Achterbahnfahrt haben die Blauen in den letzten Wochen hingelegt. Ein pinkelnder Justizminister, eine schmollende Ex-Partei-Vorsitzende, die wütend auf die eigenen Leute eindrischt, bis man sie doch zur Ministerin bombardiert. Und das sind nur einige Ausschnitte aus dieser wunderlichen Seifenoper. Man darf gespannt sein auf das Staffelfinale.
Der Gaza-Konflikt spaltet die belgische Politik
Ganz andere Geschichte auf Seite eins von De Morgen: "Der Krieg in Gaza sät Zwietracht innerhalb der Regierung", titelt das Blatt. Le Soir ist präziser: "Einige Vivaldi-Parteien befürworten einen Boykott israelischer Waren." Die linken Koalitionspartner und auch die CD&V wären tatsächlich für ein solches Handelsembargo. Die Liberalen sind aber dagegen.
Das ist nicht das erste Mal, dass der Krieg in Nahost für innenpolitische Verwerfungen sorgt. Erst vor einigen Tagen hatte die Ecolo-Klimaschutz-Ministerin Zakia Khattabi für eine Polemik gesorgt, weil sie die Hamas erstmal nicht ausdrücklich als eine Terrororganisation bezeichnen wollte. Obgleich sie sich schnell korrigierte, machte MR-Chef Georges-Louis Bouchez doch gleich wieder ein Riesenfass auf, beklagt De Morgen in seinem Kommentar. Bouchez ging es offensichtlich nur darum, den Grünen größtmöglichen Schaden zuzufügen.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Politikerinnen und Politiker, die auf fast schon erfrischende Weise die Nuancen in diesem Konflikt herausschälen. Das gilt zum Beispiel für die Vooruit-Ministerin Caroline Gennez oder für die Groen-Vizepremierministerin Petra De Sutter. Wir sehen hier also eigentlich zwei Politikertypen. Es gibt den "Spektakel-Politiker", der vor einem Scherbenhaufen, den er selbst verursacht hat, noch ein Selfie macht. Und dann gibt es diejenigen, die manchmal auch fernab der Kameras die Grauzonen hervorheben. Der Wahlkampf kann noch interessant werden.
Unabhängig von diesen innenpolitischen Meinungsverschiedenheiten fordert Le Soir einmal mehr eine sofortige humanitäre Feuerpause. Seit dem schrecklichen Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober hat man den Eindruck, dass auch in der Folgezeit alles dem makabren Drehbuch der Extremisten folgt. Mit ihrer beispiellos brutalen Operation wollte die Hamas nur erreichen, dass Israel mit ebenso beispielloser Härte zurückschlägt. Eine unfassbar zynische und perfide Falle; und Israel ist hineingetappt. "Der Gaza-Streifen ist zu einem 'Friedhof für Kinder' geworden", das sind die Worte von UN-Generalsekretär António Guterres. Die Spirale aus Hass und Rache muss gestoppt werden.
Roger Pint