"Rousseau bekommt nun auch Kritik aus seiner eigenen Partei", titelt Het Nieuwsblad. "Conner Rousseau stürzt die flämischen Sozialisten in eine Krise", notiert La Libre Belgique auf Seite eins. "Vooruit kann vorerst nicht ohne Rousseau", bemerkt De Standaard auf seiner Titelseite.
Die Affäre um den Vorsitzenden der flämischen Sozialisten von Vooruit, Conner Rousseau, beschäftigt auch weiterhin einige Zeitungen in ihren Leitartikeln. Rousseau hatte sich am Donnerstagabend für Äußerungen gegen Roma entschuldigt. Die Staatsanwaltschaft prüft weiter, ob ein Verfahren wegen Rassismus gegen Rousseau eröffnet werden soll.
De Standaard kommentiert: Die ganze Inszenierung der Pressekonferenz von Rousseau in der Kneipe, in der er seine fragwürdigen Worte im Suff gesagt hatte, machte schon deutlich: Hey, das alles ist nicht so ernst gemeint. Mit einem roten Vorhang im Hintergrund und einem Scheinwerfer auf Rousseau sah alles aus, wie im Kabarett. Deshalb war seine Entschuldigung auch nicht aufrichtig. Rousseau weiß genau, was er macht. Er hat eine Splitterbombe geworfen, die sowohl seine Partei als auch die ganze Gesellschaft trifft. Seine Partei, weil die sich jetzt daran gewöhnen muss, ein bisschen Rassismus dann doch zu akzeptieren. Die Gesellschaft, weil Rousseau sich jetzt noch mehr zu dem Mann kristallisiert, der die Sprache der Menschen spricht. Denn so wie er denken viele. Und wer das infrage stellt, ist einer der hochmütigen Politiker, die die Bindung zum Volk verloren haben, analysiert De Standaard.
Unbequeme Wahrheit
La Dernière Heure meint: Politisch ist Rousseau alles andere als tot. Mit Sicherheit ist er angeschlagen. Als künftiger Premierminister ist er nicht mehr im Rennen. Für alles andere aber sehr wohl. Allein aus dem Grund, weil viele Belgier – in der Kneipe oder nicht, betrunken oder nicht - jeden Tag das gleiche sagen, was man Rousseau jetzt vorwirft. Eine unbequeme Wahrheit. Aber trotzdem eine Wahrheit, weiß La Dernière Heure.
Le Soir erinnert: Rousseau kann im Grunde behaupten, was er will. Er kann ruhig sagen "Nein, ich bin kein Rassist. Alles, was ich bisher getan habe, zeigt doch, dass man mir Rassismus nicht vorwerfen kann". Aber entscheiden darüber kann er nicht. In Belgien gibt es nämlich schon seit 1981 ein Gesetz gegen Rassismus. Und ganz allein auf Grundlage dieses Gesetzes wird die Justiz entscheiden, wie es mit dem Rassismusvorwurf gegen Rousseau aussieht. Politiker können nämlich auch nicht alles sagen, was sie wollen. Auch für sie gibt es Grenzen. Das ist extrem wichtig in einer Zeit, in der die extreme Rechte und Populisten immer stärker werden und rassistische und diskriminierende Äußerungen immer häufiger banalisiert werden, betont Le Soir.
Die Brandmauer bröckelt
Het Nieuwsblad hat gemeinsam mit Het Belang van Limburg eine Umfrage unter Bürgermeistern in Flandern durchgeführt. Eins der Ergebnisse ist, dass jeder siebte Bürgermeister sich vorstellen kann, nach den Gemeinderatswahlen im nächsten Jahr zusammen mit dem Vlaams Belang zu regieren. Het Nieuwsblad stellt fest: Damit werden die Gemeinderatswahlen im Oktober 2024 nicht nur die ersten Wahlen, bei denen es keine Wahlpflicht mehr gibt. Sondern auch die ersten, bei denen der Cordon Sanitaire droht, durchbrochen zu werden. Das ist einfach eine Tatsache und man wird es auch nicht dadurch verhindern können, nicht über den Vlaams Belang zu sprechen. Denn der Vlaams Belang, den die anderen Parteien mit diesem Schutzwall von Regierungsverantwortung ausgrenzen wollen, ist mittlerweile so populär, dass man vielerorts nicht ohne den Vlaams Belang regieren kann. Jeder vierte Flame hat ja mittlerweile vor, den Vlaams Belang zu wählen, erinnert Het Nieuwsblad.
Fast schon zynisch bemerkt dazu Het Belang van Limburg: Vielleicht kommt alles doch noch anders bei den nächsten Wahlen. Denn nachdem wir jetzt wissen, was der Vooruit-Vorsitzende Rousseau im Suff gesagt hat, wissen wir auch, dass der Vlaams Belang plötzlich einen Stammbaumsozialisten als Konkurrenten hat. Wahrscheinlich ist der Vlaams Belang ziemlich irritiert, dass er in seinem Teich fischt, stichelt Het Belang van Limburg.
Frust und Freude
De Morgen urteilt über den informellen EU-Gipfel in Spanien: Das Treffen hat mehr Frust erzeugt als Ergebnisse geliefert. Vor allem hat die EU es versäumt, die Union klar auf Erweiterungskurs zu bringen. Gebremst haben unter anderem auch Belgien und die Niederlande. Es ist bedauerlich, dass diese Zaghaftigkeit der Europäer jetzt Oberhand gewinnt und Wahlen im eigenen Land wichtiger werden als die große Perspektive. Jetzt wären mal wieder Staatsmänner mit Vision gefragt, die erkennen: Wenn die EU nicht handelt, gehen die Beitrittskandidaten verloren, an Mächte wie China, Russland oder Saudi-Arabien. Und dass Sicherheit und Frieden für Europa erst einmal wichtiger sind als all das kleinteilige Alltagsgeschacher, mahnt De Morgen.
La Libre Belgique freut sich über die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Iranerin Narges Mohammadi und führt aus: Der Preis hätte nicht zu einem besseren Zeitpunkt kommen können. Seit zwei Tagen liegt eine 16-jährige Iranerin im Koma, nach einem Vorfall in der U-Bahn von Teheran. Das erinnert an den Tod der jungen Mahsa Amini vor einem Jahr. Sie ist seitdem zum Symbol der Unterdrückung der Frauen im Iran geworden und auch zum Symbol ihres Freiheitskampfes. Alle Iraner schauen jetzt gespannt darauf, was mit der 16-jährigen passiert. Sollte sie sterben, könnte die Flamme der Empörung wieder auflodern. Der Friedensnobelpreis ist eine Ermutigung dazu, im Kampf für Freiheit und Menschenrechte nicht nachzulassen, unterstreicht La Libre Belgique.