"Wie Conner Rousseau schon am Tag nach dem 'Rassismus-Zwischenfall' mit der Schadensbegrenzung begann", titelt De Standaard. "Conner Rousseau schaltete Korpschef und Bürgermeister ein für 'Schadensbegrenzung'", liest man bei Gazet van Antwerpen. "Rousseau probierte, die Aufnahmen der Bodycam zu stoppen", so Het Nieuwsblad. "Wie Conner Rousseau alle Register zog, um die Aufnahmen zu stoppen", greift das auch Het Belang van Limburg auf.
Der Vooruit-Vorsitzende ist aber nur eins von zwei Themen, die aktuell vor allem in Flandern für viel Wirbel sorgen. Das zweite ist das Gutachten des Staatsrats zum flämischen Stickstoffdekret, das auch fast alle flämischen Leitartikler beschäftigt: Die flämischen Regierungsparteien hatten zwar eine lange Liste mit Anmerkungen vom Staatsrat erwartet, kommentiert Het Belang van Limburg. Aber das Gutachten, das die Regierung Jambon bekommen hat, ist keine Aufforderung, das Projekt doch noch einmal zu überarbeiten, es hat sämtliche Grundlagen des Dekrets vernichtet. Schuld daran sind N-VA, Open VLD und CD&V, die dem Dekret keine solide Basis gegeben hatten – weder politisch noch wissenschaftlich. Der Staatsrat bezweifelt sogar die Methode, mit der die flämische Regierung die Auswirkungen des Stickstoffausstoßes berechnet, stöhnt Het Belang van Limburg.
Die Malaise der Investoren
Das Gutachten des Staatsrats untergräbt so ziemlich jeden Stützpfeiler des Stickstoffdekrets von N-VA und Open VLD, stellt auch Het Nieuwsblad fest. Zwischen den Zeilen ist auch zu lesen, dass der Staatsrat der Auffassung ist, dass die Regionalregierung das Dekret für die Industrie maßgeschneidert hat. Das Gutachten einfach zu ignorieren, so wie es der flämische Arbeitgeberverband Voka fordert, ist natürlich eine Option. Politisch ist es allerdings schwierig, sich einfach über das Gutachten hinwegzusetzen. Außerdem würde das auch nichts lösen: Das Gutachten listet im Prinzip schon alle Argumente auf, die Gegner vor dem Verfassungsgerichtshof brauchen würden, falls das Stickstoffdekret in seiner jetzigen Form in Flandern grünes Licht bekommen sollte. Ohne Stickstoffdekret droht aber ein riesiges Problem: Privatpersonen, Landwirte, Bauherren und Industrie könnten zwar weiter Genehmigungen erhalten – es gäbe allerdings nicht die geringste Sicherheit, dass diese Genehmigungen auch Bestand haben würden. Unter diesen Umständen dürften weder große noch kleine Investoren bereit sein, Geld auf den Tisch zu legen, warnt Het Nieuwsblad.
Trümmerhaufen
Die flämische Regierung steht vor einem Trümmerhaufen, schreibt De Morgen. Das Fiasko zeigt auch einmal mehr, welche Folgen die Kombination aus schwacher Politik und Spektakelpolitik haben kann. Stickstoff ist zwar zweifelsohne eine eher dröge Materie, aber die Dinge, die damit zusammenhängen, sind es nicht: Hier geht es um Biodiversität und Wohlbefinden, um Landwirtschaft und Industrie und damit um den Wohlstand vieler Flamen. Die flämische Regierung bezahlt jetzt einen schweren Preis für ihre unbesonnenen Entscheidungen der Vergangenheit. Die Chancen stehen auch nicht gut, dass es der aktuellen Regierung noch gelingen wird, die Scherben wieder stabil zusammenzukleben. Es wäre vermutlich besser, das auf die nächste Legislatur zu verschieben und dann eine breitere Basis in der Gesellschaft für die Stickstoffpolitik zu schaffen. Es ist nicht unmöglich, Natur und Wirtschaft, Wohlbefinden und Wohlstand unter einen Hut zu bringen. Die einzige Frage wird sein, wie groß der Schaden sein wird durch all die Zeit, die schon verloren gegangen ist, ärgert sich De Morgen.
Was können wir uns leisten und was bringt uns voran? Das ist die Debatte, die wirklich geführt werden muss, meint De Standaard. Welche Industrie braucht Flandern? Wie können wir die Massentierhaltung abbauen, die für so viel Stickstoff verantwortlich ist? Wie können wir die Natur robuster machen und wie können wir die Schutzgebiete vergrößern? Das sind die eigentlichen Fragen, die die flämische Regierung in die Krise gestürzt haben. Was sagt das eigentlich über die flämische Demokratie aus, wenn schon wieder ein Richterkollegium Parteien und Regierung dazu zwingen muss, sich zu echten Entscheidungen durchzuringen?, fragt De Standaard.
Politischer Mut wird am Ende nötig sein
Le Soir befasst sich derweil mit der Ankündigung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche: Die VRT-Reportage "Godvergeten" über historische Missbrauchsfälle hat nicht nur die katholische Kirche in Belgien ans Kreuz genagelt, sondern auch die Justiz. Deswegen reicht es auch nicht, dass die Parlamentarier grünes Licht geben für den Untersuchungsausschuss, sie müssen vor allem genau definieren, was eigentlich wie untersucht werden soll. Die Untersuchung muss straff organisiert werden und sich darauf konzentrieren, das ans Tageslicht zu bringen, was bisher im Dunkeln geblieben ist. Die Anwälte der Opfer fordern mit Nachdruck, dass sich der Ausschuss auf die Rolle der belgischen Justiz beschränken soll. Also zum Beispiel auf die Frage, ob und warum die Justiz Opfer während ihrer Ermittlungen mindestens zwei Mal kaltgestellt hat, ob sie den Skandal vertuscht hat, ob sie damals mit der Kirche gemeinsame Sache gemacht hat. Die Politik wird ihren Mut dann auch bei der Abschlusserklärung beweisen müssen. Denn die muss nicht nur den Verletzten, Vergessenen und Gedemütigten helfen, sondern muss auch zu einem besseren Funktionieren der Institution beitragen, die diese Verfehlungen zu verantworten hat, fordert Le Soir.
Boris Schmidt