"Conner Rousseau äußert sich nach turbulenten Monaten“, schreibt De Standaard auf Seite eins. “Conner Rousseau nach dem Sturm“, so die Schlagzeile von De Morgen. Beide Zeitungen bringen dasselbe Zitat des Vooruit-Vorsitzenden: "Ich bereue nichts“.
Conner Rousseau, der Vorsitzende der flämischen Sozialisten Vooruit, ist heute vor allem in den flämischen Zeitungen allgegenwärtig. Der 30-Jährige bricht sein Schweigen, nachdem Ermittlungen gegen ihn insbesondere wegen sexueller Belästigung wochenlang für Schlagzeilen gesorgt hatten. Anfang des Monats gab die Justiz bekannt, dass die drei Anzeigen beziehungsweise Klagen zu den Akten gelegt worden seien.
Doch hat Conner Rousseau offensichtlich ein neues Problem: "Wieder Ermittlungen gegen Conner Rousseau“, titelt Gazet van Antwerpen. Het Laatste Nieuws und Het Nieuwsblad sind präziser: "Conner Rousseau - die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mutmaßlichen rassistischen Sprachgebrauchs. Der Vorfall soll sich in Rousseaus Heimatstadt Sint-Niklaas ereignet haben; er soll sich in Gegenwart eines Polizisten abfällig geäußert haben. Er selbst kann sich nach eigener Aussage nicht mehr so ganz an die Episode erinnern, da er etwas zu viel getrunken hatte.
"Besser mal ‘ne Cola Light "
Der Vooruit-Vorsitzende Conner Rousseau hat also offensichtlich ein neues Problem, konstatiert Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Was Rousseau genau gesagt haben soll, ist noch nicht bekannt. Aber man darf davon ausgehen, dass ihm die ganze Geschichte wohl vorläufig nicht schaden dürfte. Eher im Gegenteil. Spätestens nachdem die Anzeigen wegen mutmaßlicher sexueller Belästigung sang- und klanglos vom Tisch gefegt wurden, dürften Vooruit-Wähler das Ganze als einen neuen Beweis dafür sehen, dass man es auf ihren Vorsitzenden abgesehen hat.
Tatsächlich hat diese Sache einen beunruhigenden Beigeschmack: Wieder ist es ein Presseleck bei der Polizei, das einen Politiker in Schwierigkeiten bringt. Das riecht irgendwie nach Machtmissbrauch. Deswegen ein Tipp an alle Politiker: Trinkt in den nächsten Monaten besser mal Cola Light.
Gazet van Antwerpen schließt sich dem Appell an. In letzter Zeit haben doch allzu viele Politiker Schlagzeilen gemacht mit peinlichen Geschichten, bei denen immer Alkohol im Spiel war: Vincent Van Quickenborne und die Luftgitarre, Theo Francken und der Blumentopf, um nur einige zu nennen. Klar: Politiker sind auch nur Menschen. Und natürlich darf ein junger Parteivorsitzender sich auch mal amüsieren und dabei Alkohol trinken. Aber wäre es nicht vernünftiger gewesen, wenn sich Conner Rousseau gerade im Moment mal ein bisschen am Riemen gerissen hätte? Er wusste doch schließlich, dass er gewissermaßen „unter Beobachtung“ stand. Davon abgesehen, und das gilt für alle Vorfälle der letzten Zeit: Gewählte Politiker sollten niemals die Würde ihres Amtes vergessen.
"Genug gelabert“
Het Belang van Limburg scheint das seinerseits etwas lockerer zu sehen. Hat nicht jeder das Recht jung zu sein? Wer hat noch nie ein Glas zu viel getrunken oder im jugendlichen Leichtsinn einen dummen Fehler gemacht? Natürlich dürfen solche Fehler bestraft werden, erst recht, wenn es sich um Gesetzesverstöße handelt. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt aber die Unschuldsvermutung. Das hat man - wie immer - auch in den sozialen Netzwerken vergessen.
"Genug gelabert!“, diese Order hatte Conner Rousseau selbst ausgegeben. Nun, so meint Het Laatste Nieuws, dann hätte er besser dafür gesorgt, dass es keinen Anlass für Gelaber gibt. Und sollte es sich bewahrheiten, dass sich der Vooruit-Vorsitzende rassistisch geäußert hat, dann bekäme sein Image als Golden Boy der Sozialisten einen fetten Kratzer. Und langsam aber sicher reicht es mit den peinlichen Schlagzeilen: Politiker, die einen Blumentopf mit einem Pissoir verwechseln, die angeschickert Luftgitarre spielen oder die als grell aufgetakelte Dragqueen in einer Unterhaltungsshow auftreten: Der Vlaams Belang muss eigentlich gar keinen Wahlkampf mehr machen. Deswegen, in der Tat: Genug gelabert!
De Morgen sieht das genau so. Weniger als ein Jahr vor den Wahlen rollen die Zentrumsparteien dem rechtsextremen Vlaams Belang den roten Teppich aus. Und das im Übrigen nicht nur mit den wildesten Fettnäpfchen oder Peinlichkeiten, sondern auch mit ihrer Politik. Jüngstes Beispiel: Fast 30 Verfassungsexperten stellen sich in einem offenen Brief die Frage, ob Belgien noch ein Rechtsstaat ist. Und leider ist diese Frage berechtigt. Es reicht die Feststellung, dass der belgische Staat schon mehr als 7.000 Mal vor Gericht verurteilt wurde wegen seines Umgangs mit Asylbewerbern. Wie soll man in einem solchen Klima noch den "Cordon sanitaire“ rechtfertigen, also die Bannmeile um den Vlaams Belang? Kann man noch ernsthaft behaupten, dass man den Rechtsstaat vor Anti-Demokraten schützen will, wenn man sich selbst nicht an die Gesetze hält?
Ohne UNO wär es schlimmer
Le Soir schließlich blickt in seinem Leitartikel auf die UN-Vollversammlung in New York und das insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat es tatsächlich geschafft, sich in Gegenwart des russischen UN-Botschafters vor dem UN-Sicherheitsrat zu äußern. Das war eine Premiere. Und ein starkes Bild, das beweist, dass die UNO doch nicht so nutzlos ist, wie es manchmal aussehen könnte. Klar: Die Vereinten Nationen können den Krieg nicht beenden, weil sie durch die russischen und auch chinesischen Vetos gelähmt werden. Und ja, die Organisation braucht dringend eine tiefgreifende Reform. Aber die UNO ist nach wie vor der einzige Ort, wo die Länder miteinander in Dialog treten können. Wenn sie auch nicht miteinander reden, sie müssen zumindest zuhören. Fazit: eine Welt ohne die UNO wäre noch schlimmer.
Roger Pint