"Anschläge von Brüssel: Es ist Recht gesprochen worden", titelt La Libre Belgique. "Strafmaß im Brüsseler Terrorprozess verkündet: Haftstrafen und Bürgerrechte entzogen", fasst das GrenzEcho auf Seite eins zusammen. "Schwere Strafen für die Mehrheit der Angeklagten", so Le Soir. "Salah Abdeslam bekommt keine zusätzliche Strafe", hebt Het Nieuwsblad hervor. "Keine zusätzliche Strafe für Abdeslam", greift das auch Het Laatste Nieuws auf.
"35 Leben haben die Terroristen am 22. März 2016 ausgelöscht", erinnert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Hunderte weitere Menschen haben sie zum Teil schwer verletzt - sowohl körperlich als auch seelisch. Viele Länder hätten auf diese barbarischen und grausamen Taten mit einer schnellen, standrechtlichen und von Rachegefühlen gesteuerten Antwort reagiert. Aber Belgien ist dem Beispiel Frankreichs gefolgt und hat einen anderen Weg gewählt: den des Rechtsstaats und des Rechts. Zehn Monate nach Beginn des Prozesses müssen selbst die größten Zweifler anerkennen, dass diese Aufarbeitung positiv gewesen ist. Sowohl die Richter als auch die Geschworenen haben ihre Aufgaben tadellos erfüllt; die Opfer haben die Gelegenheit bekommen, vor den Tätern ihr Leiden, ihre Traumata und die Folgen der Anschläge zu schildern; bei manchen der Angeklagten scheint sich sogar eine gewisse Reue gezeigt zu haben. Nun ist der Prozess endgültig zu Ende gegangen, und zwar in würdiger und ruhiger Art und Weise. Vergessen wird Belgien die Anschläge nie, aber es kann nun die Trauer bewältigen. "Auch dazu dient die Rechtsprechung", meint La Libre Belgique.
Ein neues Kapitel aufschlagen
Für L'Avenir ist es hingegen noch zu früh, um schon eine Bilanz des Terrorprozesses zu ziehen, nicht zuletzt, weil die Verteidigung ja noch in Berufung gehen kann. Festzuhalten ist aber, dass Gericht und Geschworene nicht den Maximalforderungen der Staatsanwaltschaft gefolgt sind in puncto Gefängnisstrafen. Den Verurteilten mit doppelter Staatsangehörigkeit ist auch nicht wie gefordert die belgische Staatsangehörigkeit entzogen worden. Gerade letztere Entscheidung hat einen hohen symbolischen Wert. Für viele Opfer und ihre Angehörigen wird gestern derweil auch ein Tag sein, um endlich ein neues Kapitel aufzuschlagen. Ihr Leben wird für immer vom 22. März 2016 geprägt bleiben. Aber hoffentlich wird der 15. September 2023 ein ebenso wichtiges Datum in ihrem Leben werden, so L'Avenir.
Het Laatste Nieuws befasst sich mit dem brutalen Mord in der Brüsseler Stadtgemeinde Anderlecht, der mit dem Drogenmilieu in Verbindung gebracht wird: Während Brüssel über die zersplitterten Zuständigkeiten von Gemeinden, Polizeizonen und föderalen Diensten stolpert, scheren sich die Verbrecherkartelle aus Marseille und Albanien nicht um Grenzen, müssen sie sich keine Sorgen um ihre Finanzierung machen und setzen sie auf rohe Gewalt. Die jüngste Liquidierung war dabei möglicherweise nur ein Vorgeschmack. Dabei wird in Brüssel schon lange Alarm geschlagen, dass die Drogengewalt Ausmaße angenommen hat, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die lokalen Polizeizonen mögen auch noch so tapfer versuchen, dem Einhalt zu gebieten, es wird wenig bringen, solange das eigentliche Problem nicht gelöst wird - die unübersichtlichen und zersplitterten Zuständigkeiten. Geschieht das nicht, dann drohen Belgien südamerikanische Zustände, warnt Het Laatste Nieuws.
Die Schulen sind die erste Verteidigungslinie
Ansonsten sorgen aber vor allem weiter die Brandstiftungen für Wirbel, die mit den Protesten gegen die Einführung eines Pflicht-Aufklärungsunterrichts (EVRAS: "éducation à la vie relationnelle, affective et sexuelle) in den Schulen der Französischen Gemeinschaft in Verbindung gebracht werden.
"Es ist nicht übertrieben, hier von Terroranschlägen zu sprechen", wettert L'Echo. In einer demokratischen Gesellschaft muss es immer Raum für Debatten geben, das stimmt, aber diese Debatten dürfen niemals mit Gewalt geführt werden. Angriffe auf Schulen sind nicht hinnehmbar und werden es auch nie sein - egal wo auf der Welt. Die Debatten müssen auch auf der Grundlage von Argumenten ausgefochten werden, nicht auf der Basis von Falschinformationen. Die Vorfälle zeigen, wieder was für eine wichtige Herausforderung Desinformation in unserem postfaktischen Zeitalter darstellt. Deswegen bleibt es auch enorm wichtig, die Techkonzerne zu einer besseren Überwachung ihrer Inhalte zu bringen. Gleichzeitig muss aber auch Medienerziehung und Medienkompetenz systematisch vorangetrieben werden. Das gilt für alle Bereiche unserer Gesellschaft, aber insbesondere auch für unsere Schulen. Denn im Kampf gegen die Unwissenheit und damit die Intoleranz sind die Schulen die erste Verteidigungslinie – und die müssen wir auch verteidigen, fordert L'Echo.
"Solange man zurückdenken kann, hat Aufklärungsunterricht für Debatten gesorgt", kommentiert Le Soir. Dass die Schulen sich in solche intimen Bereiche des Lebens einschalten, wollen manche Menschen einfach nicht akzeptieren, sei es aus persönlichen, religiösen oder philosophischen Gründen. Aber egal wie, Gewalt ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Wer zur Gewalt greift, der disqualifiziert sich selbst und gehört vor den Richter. Es ist auch wichtig, die Dinge so zu sehen, wie sie sind: Es geht hier um gerade mal vier Stunden in der gesamten Schullaufbahn, in denen Kinder und Jugendliche Experten nicht nur Fragen zur Sexualität stellen können, sondern auch zu Beziehungen, Liebe und Gefühlen. Der Unterricht ist auch einfach eine Rettungsboje in der Flut aus billigem Sex, mit dem Smartphones die Kinder und Jugendlichen überschwemmen. Eine Gelegenheit, sich zurechtzufinden in einem Dschungel aus Tabus, Hirngespinsten und Unausgesprochenem. "Eine Chance vielleicht auch, besser in das Erwachsenenleben zu starten", appelliert Le Soir.
Nicht lächerlich machen oder kriminalisieren
"Wir haben Glück gehabt, dass bisher noch keine Menschen zu Schaden gekommen sind", merkt De Morgen an. Aber das ändert nicht das Geringste daran, dass Angriffe auf Orte, an denen sich Kinder sicher fühlen sollen, einfach verwerflich sind. Die Brandstifter stellen dabei vermutlich nur die radikalisierte, gewaltbereite Spitze einer viel breiteren Bewegung dar. Hier marschieren orthodoxe Muslime Seite an Seite mit ultrakonservativen Katholiken und anderen Rechtskonservativen. Was all diese eigentlich verfeindeten Radikalen plötzlich verbindet, das ist Sex - beziehungsweise die Angst davor. Und auch wenn sie noch so lang den Kopf in den Sand und die Finger in die Ohren stecken, das wird die Realität der heutigen Sexualität nicht ändern.
Allerdings hilft es auch nicht, solche Menschen lächerlich zu machen oder zu kriminalisieren. Es ist besser, zuzuhören, zu informieren und sie auf ihre eigenen Freiheiten und Verantwortungen hinzuweisen. "Denn kein Aufklärungsunterricht der Welt hält diese Menschen davon ab, selbst mit ihrem Nachwuchs über intime Themen zu sprechen", unterstreicht De Morgen.