"Visa-Affäre – ein Drahtseilakt für Hadja Lahbib", titelt L'Echo. "Lahbib wird eine eisenharte Verteidigung brauchen", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins.
Alle Augen richten sich heute auf die föderale Außenministerin Hadja Lahbib. Die muss nämlich am Nachmittag den Abgeordneten im zuständigen Kammerausschuss Rede und Antwort stehen. Dabei geht es ja um den umstrittenen Besuch des Teheraner Bürgermeisters in Brüssel. Eingeladen wurde er vom Brüsseler Staatssekretär Pascal Smet, der inzwischen zurückgetreten ist. Aber es war das Außenministerium, das die Visa für die iranische Delegation ausgestellt hat.
Die ganze Geschichte hat aber gestern Abend einen neuen Dreh bekommen: "De Croo übernimmt die Verteidigung von Hadja Lahbib", so etwa die Schlagzeile von L'Avenir und De Tijd. "De Croo wusste von der Anwesenheit des Teheraner Bürgermeisters", titelt Het Nieuwsblad. "De Croo war mit der Visa-Vergabe einverstanden", so formuliert es De Standaard. Demnach hat man die Visa nur ausgestellt, um einen diplomatischen Eklat zu vermeiden.
Noch Erklärungsbedarf in der Visa-Affäre
Amateure von politischen Ränkespielen kommen in diesen Tagen wiedermal auf ihre Kosten, kann L'Avenir in seinem Leitartikel nur feststellen. Denn im zuständigen Ausschuss wird nicht nur die Opposition aus allen Rohren auf die Außenministerin feuern. Vielmehr wird sich Hadja Lahbib auch unbequeme Fragen von den Koalitionspartnern gefallen lassen müssen. Die Sozialisten und Grünen werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den Liberalen einen mitzugeben. Und tatsächlich ändert auch die neuerliche Rückendeckung von Premierminister Alexander De Croo für die Außenministerin nichts daran, dass es in dieser Affäre noch erheblichen Erklärungsbedarf gibt. Unterm Strich zeigt sich hier aber einmal mehr, wie zerbrechlich die Vivaldi-Koalition letztlich ist, wird sie doch in regelmäßigen Abständen von Kontroversen und politischen Spielchen durchgeschüttelt.
Katargate: "Ein krachender Rückschlag"
Einige Zeitungen kommen noch einmal zurück auf die neuen Entwicklungen in der sogenannten Katargate-Affäre. Der zuständige Untersuchungsrichter Michel Claise hat sich ja von dem Fall entbinden lassen. Er wollte damit den Eindruck eines möglichen Interessenkonflikts vermeiden. Das ist schon ein dicker Hund, wettert Le Soir sinngemäß in seinem Leitartikel. Hintergrund der Entscheidung von Michel Claise ist, dass sein Sohn ein Geschäftspartner des Sohnes von Marie Arena ist. Und der Name der PS-Abgeordneten taucht in der Akte immer wieder auf. Und das soll Michel Claise nicht längst gewusst haben? Warum hat er erst darauf gewartet, dass andere auf das Problem aufmerksam werden und er dann holterdiepolter den Hut nehmen muss? Damit hat der Untersuchungsrichter seinen eigenen Ermittlungen geschadet. Nicht so sehr formaljuristisch, denn die Untersuchung wird wohl ungestört weiterlaufen. Nein, hier geht es vor allem um die Glaubwürdigkeit der Ermittlungen und der belgischen Justiz insgesamt.
La Libre Belgique sieht das ähnlich. Mit der Aufdeckung des Katargate-Skandals hatte Untersuchungsrichter Michel Claise vor sechs Monaten für einen Paukenschlag gesorgt, der europaweit Aufmerksamkeit hervorgerufen hatte. Dass sich Claise jetzt wegen einer solch banalen Geschichte aus den Ermittlungen zurückziehen muss, das ist ein krachender Rückschlag, eine regelrechte Schmach für den Untersuchungsrichter und damit auch für seine bisherige Arbeit. Bei einer solchen Affäre mit einem solchen Ausmaß, das die Grenzen des Landes weit überschreitet und die buchstäblich von der Weltpresse beobachtet wird, darf man sich keinen Fehltritt erlauben. Denn damit zieht man die Glaubwürdigkeit eben dieser Ermittlungen in Zweifel. Und man riskiert, dass die belgische Justiz am Ende vor der ganzen Welt in der Unterhose dasteht.
Umweltschutz und Klimaschutz gehen Hand in Hand!
Einige Zeitungen kommentieren auch die gestrige Einigung der EU-Umweltminister auf die Eckpunkte des umstrittenen Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur. Das gestern verabschiedete Positionspapier soll als Arbeitsgrundlage dienen für die Verhandlungen insbesondere mit dem EU-Parlament. Man hat also doch nicht auf den Pausenknopf gedrückt, konstatiert Gazet van Antwerpen. Eben dafür hatten ja im Vorfeld der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und auch Premierminister Alexander De Croo plädiert. Und zum Glück konnten sie sich damit nicht durchsetzen. Denn Umweltschutz und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Natürlich ist das noch nicht der definitive Text. Und immerhin wurde ja auch schon berücksichtigt, dass die Ausgangslage sehr unterschiedlich sein kann, dass etwa dicht besiedelte Regionen weniger Handlungsspielraum haben. Das Gesetz hat jedenfalls eine wichtige Hürde genommen. Und das ist gut so.
Europa ist also der Stabilisierung der Ökosysteme einen Schritt nähergekommen, lobt auch De Standaard. Und eigentlich müsste das doch gefeiert werden. Stattdessen bekommt das Gesetz aber starken politischen Gegenwind. Das haben wir insbesondere der EVP, also den Europäischen Christdemokraten, zu verdanken. Die versuchen die Angstreflexe der Bürger zu triggern mit dem Argument, dass das Gesetz die Landwirte derartig schikanieren wird, dass am Ende sogar die Nahrungsmittelsicherheit in Gefahr gerät. Diese These wird inzwischen sogar von Nestlé und Co. als bloßes Schreckgespenst abgetan. Dennoch hat die EVP damit sogar schon andere angesteckt, angefangen beim belgischen Premier De Croo. Deswegen nochmals: Es ist nicht die Wiederherstellung der Natur, sondern der fortschreitende Klimawandel, der die Ernten und die Zukunft unserer Bauern vernichtet.
Roger Pint