"Von Macron bis Scholz, alle kommen nach Ostende – Warum die Nordsee plötzlich so wichtig ist", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Energie: Nordsee soll zu 'grünem Kraftwerk Europas' werden, liest man beim GrenzEcho. "Bis 2050 mehr als 300 Gigawatt aus Windkraft", blickt L'Echo in seinem Aufmacher voraus.
Die Crème de la Crème der europäischen Politik hat beim Nordseegipfel in Ostende nicht nur heiße Luft produziert, lobt Le Soir. Nein, sie konnte hier in Belgien, einem der Pioniere der Windkraft, ein gleich dreifaches Symbol feiern: den Erfolg der Windkraft, ihre strategische und klimatische Bedeutung und die Zusammenarbeit zwischen den anwesenden Staaten. Der Konflikt mit Russland hat endgültig bewiesen, wie wichtig die Energiegewinnung aus Windkraft ist. Aber die in Ostende versammelte Politik weiß eines ganz genau: Der Erfolg der Windkraft ist kein Zufall, wir haben ihn unserer Entschlossenheit, unserem Knowhow, unseren Investitionen und den natürlichen Gegebenheiten zu verdanken. Und Europa wird zusammenarbeiten müssen, um diesen Erfolg fest zu verankern und dauerhaft zu sichern, unterstreicht Le Soir.
Vorsicht vor neuen Abhängigkeiten und Verzögerungen
Neun Staats- und Regierungchefs sind zum Nordseegipfel in Ostende gekommen, vereint durch ein gemeinsames Ziel, kommentiert La Libre Belgique: mitten in der Nordsee das größte grüne Kraftwerk der Welt zu bauen. Das beweist, dass eine ehrgeizige europäische Zusammenarbeit in puncto Energie möglich ist. Für Belgien selbst steht dabei noch mehr auf dem Spiel, denn die Möglichkeiten, Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen, sind hierzulande begrenzt. Selbst falls es Belgien gelingen sollte, seine Stromerzeugung aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen bis 2050 zu verfünffachen, könnte es so gerade einmal die Hälfte seines erwarteten Energiebedarfs decken. Die Verantwortlichen setzen also massiv auf den Import von Elektrizität aus den Nachbarländern, wofür aber wiederum eine gute Koordinierung auf europäischer Ebene unumgänglich ist.
Ein anderes Problem sollte man ebenfalls nicht unter den Tisch fallen lassen: Premierminister Alexander De Croo mag noch so oft die belgische Offshore-Windkraft-Expertise preisen, aber es ist China, das diesen Markt wohl dominieren wird. Für Europa geht es also nicht nur darum, zum größten Markt für Windkraft zu werden, sondern auch, die entsprechende Technik selbst herstellen zu können. Sonst tauschen wir nur eine Abhängigkeit gegen die andere, warnt sinngemäß La Libre Belgique.
Der Bau der benötigten Windkraftanlagen, Batterien und Netze erfordert viele Rohstoffe, betont auch De Morgen. Rohstoffe, die Europa nur begrenzt oder nicht hat, es droht also eine erneute Abhängigkeit von unberechenbaren Regimen. Und das ist nicht das einzige Problem: Das schwächste Glied in der Kette ist wieder einmal der Mensch. Um Energie aus Windkraftanlagen im Meer nutzen zu können, muss der Strom erst einmal an Land gebracht und dort verteilt werden. Auch dafür sind neue Infrastruktur und Genehmigungen notwendig. Und wer "Genehmigungen" sagt, sagt Verzögerungen und juristische Auseinandersetzungen, Stichwort Ventilus-Hochspannungsleitung. Politisch und prozedural betrachtet steht 2030 auch schon quasi vor der Tür, man darf nicht vergessen, dass man bei großen Infrastrukturprojekten oft in Jahrzehnten denken muss. Viel Spielraum für Rumeiern und Zögern ist also definitiv nicht, mahnt De Morgen.
Ein großartiges Abenteuer mit einem heftigen Preisschild
Die beiden Wirtschaftszeitungen warnen vor zu viel Enthusiasmus und stellen vor allem die Herausforderungen und potenziellen Probleme in den Vordergrund. Um aus der Nordsee ein großes Kraftwerk zu machen, sind Milliardeninvestitionen notwendig, hebt De Tijd hervor. Um private Investoren zu überzeugen, werden die Staaten auch aktiv werden müssen, sei es durch kräftige Subventionen oder durch Preisgarantien.
Außerdem ist es alles andere als sicher, dass das Projekt jemals rentabel sein wird. Denn wir reden hier vor langfristigen Investitionen vor einem sehr unsicheren Hintergrund. Wer weiß schon, wie der Strommarkt in 10, 20, 30 Jahren aussehen wird? Welche geopolitischen Entwicklungen es bis dahin geben wird, welche technologischen Durchbrüche, beispielsweise in der Atomforschung? Wie wird sich all das auf die Energiepreise auswirken? Niemand kann das vorhersagen. Natürlich dürfen wir uns den Abschied von fossilen Energieträgern etwas kosten lassen, genauso wie die Begrenzung der Schäden des Klimawandels oder eine größere Unabhängigkeit bei unserer Energieversorgung. Aber diese Kosten müssen vernünftig bleiben, das Preisschild muss im Auge behalten werden, fordert De Tijd.
Von Offshore-Windenergie zu träumen, ist eine Sache, merkt L'Echo an, aber diesen Traum dann auch in die Wirklichkeit umzusetzen eine andere. Unternehmen, Politik, Verwaltungen, Zivilgesellschaft, wir alle müssen zusammen am gleichen Strang ziehen – von der Ausschreibung der Aufträge über die Beantragung und Erteilung der notwendigen Genehmigungen bis hin zum eigentlichen Bau. Natürlich wird das seinen Preis haben, aber es ist dafür auch ein großartiges europäisches Abenteuer. Ein Abenteuer, in dem Belgien schon eine fundamentale Rolle gespielt hat – und das auch weiter tun wird, ist L'Echo überzeugt.
PFOS: Körper lassen sich nicht sanieren
De Standaard greift in seinem Leitartikel eine neue Untersuchung zur PFOS-Umweltverschmutzung rund um die ehemalige Fabrik von 3M in Zwijndrecht bei Antwerpen auf: Hierfür sind Jugendliche zwischen zwölfeinhalb und siebzehn Jahren untersucht worden, die im Umkreis von fünf Kilometern um die ehemalige Chemiefabrik leben. Teenager also, die geboren wurden, als die Fabrik ihren Betrieb bereits eingestellt hatte. Bei drei Viertel von ihnen sind dennoch zu hohe PFOS-Konzentrationen im Blut festgestellt worden. Ein Viertel von ihnen hat sogar so viel PFOS im Körper, dass sie mit gesundheitlichen Folgen rechnen müssen.
Im Klartext: Wir reden hier von Entwicklungsrückständen, von Körpergrößen, die unter dem Durchschnitt liegen, von einer verzögerten Pubertät, einem gestörten Hormonhaushalt und einem geschwächten oder blockierten Immunsystem, das manche der Betroffenen anfälliger macht für Infektionen. Und was wird ihnen nun empfohlen? Sie sollen doch bitte für den Rest ihres Lebens möglichst gesund leben, um diese Probleme nicht noch zu verschlimmern. Der Erdboden in den Wohngebieten rund um die 3M-Fabrik wird zwar saniert, mit den Körpern wird das aber nie gelingen, so das bittere Fazit von De Standaard.
Boris Schmidt