"Parlament: 'Selbstbedienungskultur' im Visier – Rentenregelung für Abgeordnete verwerflich", liest man auf Seite eins des GrenzEchos. "Mit diesem Zettel wurden die Pensionsboni gesichert – diese 15 waren bei der Entscheidung dabei", macht Het Laatste Nieuws seine Titelseite zum fotografischen Pranger für die 15 Politiker, die 2013 dabei waren, als die Umgehung der Pensionsobergrenze beschlossen wurde. "'Die Pensionsboni für die Abgeordneten haben nichts Unrechtmäßiges'", bringt La Libre Belgique ein Zitat des damaligen PS-Kammerpräsidenten André Flahaut.
Wir wollen ja nicht populistisch sein, betont La Dernière Heure in ihrem Leitartikel, und wir wollen auch kein Wasser auf die Mühlen der Extremen von Links und Rechts gießen – aber man kann nur festhalten, dass die Politik als Ganzes gerade eine sehr schwierige Zeit erlebt. Seit der Luxusreise des Greffiers des wallonischen Parlaments reihen sich die Affären schneller aneinander als die Siege von Tadej Pogacar.
Hört bitte endlich auf damit, wir haben genug! 20 Prozent mehr Pension haben die Abgeordneten also bekommen, aber die Geschichte hat sie auch in 100 Prozent mehr Misskredit gebracht. Es ist wirklich allerhöchste Zeit, reinen Tisch zu machen und neu zu beginnen. Denn hier steht nichts weniger als die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Und die Wahlen nächstes Jahr kündigen sich schon jetzt sehr heiß an, erinnert La Dernière Heure.
Nicht aufs Parlament beschränken
Die Wurzel des ganzen Übels ist bekannt, hält La Libre Belgique fest: Die Abgeordneten sind Richter in eigener Sache. Sie entscheiden selbst über die Höhe ihrer Bezüge, über ihre Rentenbedingungen, über die Dotationen für ihre Parteien. Und das vollkommen frei, ohne Gegenmacht oder Kontrollinstanz. Sie sind nur ihrem eigenen Gewissen und ihrer eigenen Redlichkeit verpflichtet. Das reicht aber offenbar nicht mehr, sie haben nämlich versagt.
Dass jetzt Reformen beschlossen worden sind, ist nur den Enthüllungen, der dadurch ausgelösten Empörung und dem Druck von außen zu verdanken. Nichts, oder doch zumindest fast nichts, ist aus wirklich freien Stücken angegangen worden. Wir brauchen dringend wieder Transparenz und Mäßigung beim Umgang mit den Steuergeldern, wir brauchen einen Neustart. Der darf sich aber nicht auf die Institution Parlament beschränken: Auch die Provinzen, die Interkommunalen, alle öffentlichen und halböffentlichen Einrichtungen müssen hierbei ins Visier genommen werden, fordert La Libre Belgique.
Taten statt Worte
Die Pensionsaffäre muss wirklich dazu führen, dass sich die Volksvertreter selbst hinterfragen, meint L'Echo. Sie dürfen sich jetzt nicht damit begnügen, ein bisschen aufzuräumen, hier muss viel weiter gegangen werden, es muss global über das Statut öffentlicher Amtsträger nachgedacht werden. Wenn die Politiker ihre Wähler zurückgewinnen wollen, müssen sie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden, Taten statt Worte muss die Devise sein, nur so werden sich die Menschen wieder überzeugen lassen. Geschieht das nicht, werden die extremistischen Parteien noch nicht einmal mehr Wahlkampf machen müssen, warnt L'Echo.
Nein, die ganze Geschichte gereicht der Politik wirklich nicht zur Ehre, beklagt Le Soir. Die Menschen haben jetzt den Eindruck, dass hier eine ganze Klasse die Bodenhaftung verloren hat, dass Politiker in einer Welt leben, die nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Das ist eine furchtbare Wahrnehmung für all diejenigen, deren einziger Job die Vertretung der Bürger ist. Und sie untergräbt die Demokratie an sich.
Aber trotz allem muss man aufpassen, dass man nicht alle über einen Kamm schert, dass man nicht alle Politiker als zutiefst verdorben abtut. Stattdessen muss mehr denn je genau geschaut und analysiert werden, wer was und wann getan hat, was exakt passiert ist. Und es sollte gründlich nachgedacht werden, bevor Urteile über bestimmte Personen gefällt werden. Die Opposition, die Journalisten, die Glossenschreiber müssen aufpassen, dass sie nicht alle Politiker in einen Topf werfen, appelliert Le Soir.
Sarah Schlitz im Schlamassel
Het Laatste Nieuws befasst sich derweil mit einem ganz anderen, aber ebenfalls sehr heißen politischen Eisen: Wer hätte je gedacht, dass so viel über eine eigentlich überflüssige Staatssekretärin wie Sarah Schlitz gesprochen werden würde? Es ist ja nicht so, dass ihre Zuständigkeiten, also Geschlechtergleichstellung, Chancengleichheit und Diversität nicht wichtig wären. Aber der Kampf für Gleichheit wird vor allem an anderen Stellen geführt, in den Ministerien für Arbeit, für Soziale Angelegenheiten, für Justiz oder für Renten – lauter Ministerien, die die Grünen nicht bekommen haben.
Also blieb der Ecolo-Politikerin kaum mehr, als das zu tun, was schon ihre Vorgänger gemacht haben: Geld für Projekte verteilen. Nicht gerade einfach, damit beim Wähler zu punkten. Also mussten die Organisationen, die staatliche Unterstützung bekamen, dafür im Gegenzug das persönliche Logo von Schlitz prominent zeigen. Aber das Geld, das die Staatssekretärin verteilt hat, war Steuergeld, also nicht dazu gedacht, nebenher Wahlkampf zu führen. Vor der Kammer dazu befragt, hat Schlitz am Dienstag beteuert, nie verlangt zu haben, dass ihr Logo gezeigt werde. Eine dreiste Lüge, wie die Zeitung La Dernière Heure kurz darauf enthüllte, denn genau das stand schwarz auf weiß in den Richtlinien für den Empfang staatlicher Unterstützung. Wenn das Parlament belügen kein Grund mehr für einen Rücktritt ist, was dann, fragt Het Laatste Nieuws.
Boris Schmidt