"Magnette-Bouchez – das Kräftemessen", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Die Krise zwischen PS und MR bedroht die frankophonen Regierungen", so die Schlagzeile von L'Echo. L'Avenir formuliert es drastischer: "Die Mehrheit aus PS, MR und Ecolo liegt auf der Intensivstation", schreibt das Blatt.
Die Regierungen im südlichen Landesteil stecken in einer fast existentiellen Krise. Entzündet hat sich der Streit an der Frage, ob die Universität von Mons künftig einen vollständigen Master-Studiengang in Medizin anbieten darf. Die MR ist dagegen. PS-Chef Paul Magnette hingegen ist der Ansicht, dass man die Provinz Hennegau nicht daran hindern dürfe, sich zu entwickeln. Notfalls will er das Medizin-Studium in Mons mithilfe einer Wechselmehrheit durchdrücken. Aus der Opposition haben Les Engagés schon Unterstützung signalisiert. "Sind Les Engagés bereit, die MR in den Regierungen im südlichen Landesteil zu ersetzen?", fragt sich schon La Libre Belgique auf ihrer Titelseite.
Politischer Hahnenkampf mit Blick auf das Superwahljahr 2024
Was als ein fast sublokaler Streit um ein Medizin-Studium in Mons begann, hat sich inzwischen zu einer lupenreinen Krise entwickelt, kann L'Echo in seinem Leitartikel nur feststellen. Sollte die PS am Ende eine Wechselmehrheit hinter ihren Dekretvorschlag scharen können, dann könnten die Regierungen der Französischen Gemeinschaft und auch der Wallonischen Region implodieren. Und die Erschütterungen wären wohl bis in die Föderalregierung spürbar.
Vielleicht empfiehlt es sich da, sich den Gegenstand des Streits noch einmal genauer anzusehen. Die Befürworter der Einführung eines Medizin-Studiengangs in Mons argumentieren, dass man dem Ärztemangel im südlichen Landesteil entgegenwirken müsse. Das ist aber wenig glaubwürdig. Denn nicht vergessen: Die Zahl der Absolventen wird ohnehin begrenzt durch den Numerus Clausus. Und der wird auf der föderalen Ebene festgelegt. Man löst das Problem also nicht, indem man die Zahl der Medizin-Fakultäten erhöht. Was wir hier sehen, das ist also vor allem ein politischer Hahnenkampf schon mit Blick auf das Superwahljahr 2024.
Belgien bleibt das Mutterland des Surrealismus
Le Soir sieht das genauso. Der seit Wochen schwelende Streit um das Medizinstudium in Mons ist jetzt endgültig eskaliert. Man fühlt sich an einen schlechten Western erinnert, es fehlt noch der Showdown zum High Noon, bei dem sich zwei Duellanten gegenüberstehen. Und das Ganze endet wohl erst, wenn eine Seite den Skalp des Gegners in Händen hält. Was für ein jämmerliches Schauspiel! Und das erst recht, weil über das eigentliche Problem nicht gesprochen wird. Der wirkliche Skandal, das ist der himmelschreiende Ärztemangel im südlichen Landesteil. Und dieses Problem löst man nicht durch einen Testosteronschub oder einen Krieg zwischen übergroßen Egos. Noch besteht die Möglichkeit, eine Krise abzuwenden, die alle Beteiligten entehrt und niemandem hilft.
Diese Krise kommt zur Unzeit, ist auch L'Avenir überzeugt. Mehr denn je sind die Finanzen im südlichen Landesteil dunkelrot. Nach einer beispiellosen sanitären Krise sind die Haushalte ihrerseits mit einer galoppierenden Inflation und astronomischen Energiepreise konfrontiert. Belgien mag das Mutterland des Surrealismus sein. Aber verdienen die Wähler jetzt wirklich derartige Reibereien und sogar die Gefahr eines politischen Stillstands, und das zu allem Überfluss in einer Akte, die so gut wie keinen Einfluss auf den Alltag der Menschen hat?
Mehr Flexibilität bedeutet nicht immer Rückschritt
Einige Zeitungen beschäftigen sich auch mit dem Sozialkonflikt bei der Supermarktkette Delhaize. "Auch selbständige Delhaize-Märkte bekommen keine frischen Produkte mehr", notiert Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Die Gewerkschaften blockieren inzwischen auch große Logistikzentren. Und das hat Folgen für alle Filialen.
Die Gewerkschaften sollten mal in sich gehen und sich die Frage stellen, ob das der richtige Weg ist, empfiehlt De Standaard in seinem Leitartikel. Man kann den Eindruck haben, dass es den Gewerkschaften hier mehr um sich selbst geht als um die Arbeitnehmer, die sie vertreten. Und insgesamt halten sie allzu sehr an der Vergangenheit fest. Mehr Flexibilität, das muss doch nicht automatisch einen Rückschritt sein. Letztlich geht es doch darum, dass man die Kunden bestmöglich bedienen kann. Und da haben alle was von. Durch ihre starre Haltung stellen sich die Gewerkschaften ins Abseits.
Zurück zur einer gewissen Besonnenheit
Het Nieuwsblad sieht das anders. Der Kampf der Gewerkschaften ist durchaus legitim. Denn hier geht es um viel mehr als nur die 128 Filialen von Delhaize. Wenn die Supermarktkette mehr oder weniger unbeschadet mit ihren Plänen durchkommt, dann wäre das ein fatales Signal. Denn dann würden noch viele andere Unternehmen ihre Mitarbeiter bei selbständigen Franchisenehmern auslagern. Und so werden Arbeitnehmerrechte und letztlich das ganze Sozialmodell untergraben. Hier geht es nicht nur um die Stellung der Gewerkschaften, sondern das System in seiner Gesamtheit.
In dieser Sache haben sich alle Seiten unglücklich verhalten, glaubt De Tijd. Die Direktion hat ihre Pläne denkbar schlecht kommuniziert und argumentiert. Die Gewerkschaften haben sich ihrerseits wie gewohnt gleich in ihren ideologischen Positionen eingegraben und verkennen dabei die Realität. Denn es sind die Kunden, die letztlich mehr Flexibilität von ihrem Supermarkt erwarten. Klar: Die Entscheidung der Delhaize-Direktion ist nicht angenehm für die Mitarbeiter, und deren Sorgen sind verständlich. Aber niemand wird seinen Job verlieren. Und unter einem Franchisenehmer zu arbeiten, das ist auch nicht die soziale Hölle. Letztlich ist der Kunde König. Und alle Beteiligten sollten bitte zu einer gewissen Besonnenheit zurückfinden.
Roger Pint