"Die Krise in der flämischen Regierung ist komplett", titeln Gazet van Antwerpen und Het Nieuwsblad. "Die Stickstoff-Problematik stürzt die flämische Regierung in eine tiefe Krise", präzisiert Het Belang van Limburg. "Kein Stickstoff-Deal", kann auch Het Laatste Nieuws auf Seite eins nur feststellen.
Die flämische Regierung hatte gestern ihren letzten und entscheidenden Versuch gestartet, sich doch noch auf neue Stickstoffnormen zu einigen. Das Thema spaltet die Koalition seit Monaten. Es sind vor allem die flämischen Christdemokraten CD&V, die da blockieren. Die CD&V steht auf der Seite der Landwirte. Die Partei fordert eine gerechtere Lastenverteilung zwischen einerseits der Landwirtschaft und andererseits der Industrie. Doch die Fronten blieben verhärtet: "Die CD&V verlässt die Stickstoffverhandlungen und stürzt die flämische Regierung in die tiefste aller Krisen", schreibt De Standaard. Jetzt könnte die Koalition auseinanderbrechen "Die CD&V ist schon mit einem Bein draußen", bemerkt Het Nieuwsblad im Innenteil. Zwar sind auf Teilstaaten-Ebene keine Neuwahlen möglich, doch würde ein Bruch der Koalition politischen Stillstand bedeuten.
Stillstand im Stickstoff-Showdown
"Die flämische Regierung hat sich in eine existentielle Krise manövriert", konstatiert De Standaard in seinem Leitartikel. Nach dem Scheitern der Verhandlungen in der vergangenen Nacht ist ein neues Stickstoff-Abkommen eigentlich tot und begraben. Jetzt kann also das Schwarze-Peter-Spiel beginnen. Die CD&V wird darauf beharren, dass die Bauern noch realistische Perspektiven brauchen. Die N-VA wird ihrerseits den Christdemokraten unterstellen, nach der Pfeife des mächtigen Boerenbonds (Anm. d. Red.: der flämische Bauernverband) zu tanzen. Politisch ist die Lage für beide Seiten heikel. Die CD&V kann angesichts der anhaltenden Bauernproteste keine Zugeständnisse machen. Und die N-VA muss sich vorwerfen lassen, die Gemengelage falsch eingeschätzt zu haben. Insgesamt ist das Ganze jedenfalls eine Blamage. Und eine Lektion in Sachen Demut. Für die flämischen Nationalisten ist doch eigentlich Belgien der Inbegriff für Unregierbarkeit. Nun, man sollte da doch besser mal vor der eigenen Haustür kehren…
Pensionsskandal: Die Bürger verdienen Transparenz!
"Es war durch die Bank eine traurige Woche für die Politik", findet Het Belang van Limburg. In Flandern dreht das Stickstoff-Dossier in Dauerschleife. Und zeitgleich fliegt im föderalen Parlament ein "geheimes System" auf, das es erlaubte, einigen hohen Beamten und ehemaligen Vorsitzenden einen fetten Pensions-Bonus zuzuschustern. Da hilft es auch nicht, dass Herman De Croo umgehend ankündigte, das zu viel kassierte Geld der Stiftung gegen Krebs zu spenden. Das Übel war angerichtet. Obendrauf dann noch ein Gewerkschaftsboss, der sich eine Frühpensionsregelung basteln lässt, und eine völlig gescheiterte Energiepolitik, die die Behörden zu einem Spießrutenlauf zwingt. Es wird höchste Zeit, dass unsere Politiker mal in den Spiegel schauen. Ihr Job ist viel zu wichtig für unsere Demokratie, um ihn auf die leichte Schulter zu nehmen.
Auch Gazet van Antwerpen kommt auf den Skandal um die Pensions-Extras in der Kammer zurück. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Ein Parlament, das über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nachdenkt, der Missstände ausleuchten soll im ... Parlament... Haben die Abgeordneten wirklich einen Untersuchungsausschuss nötig, um Einblick in ihre eigenen Besoldungsregeln zu bekommen? Das wäre an sich schon eine Blamage! Naja, ob nun mit oder ohne Untersuchungsausschuss: Die Bürger dürfen in jedem Fall mehr Transparenz über die Verwendung ihrer Steuergelder und die Bezüge ihrer Politiker erwarten.
Scheindebatten über "Woke" oder "Cancel Culture"
Het Laatste Nieuws wünscht sich auch mal eine eingehende Debatte über die Staatsfinanzen insgesamt. Das verheerende Zugunglück in Griechenland hat gezeigt, was passiert, wenn ein Staat nicht mehr für die Grundversorgung aufkommen kann und nötige Investitionen zurückstellen muss. Auch Belgien ist mit einer sprichwörtlich astronomischen Staatsschuld konfrontiert. Und jeder weiß, dass das so nicht ewig weitergehen kann. Doch was sehen wir? 400 Tage vor der nächsten Wahl wird über Themen wie "Woke" oder "Cancel Culture" diskutiert. Das sind doch Scheindebatten! Die zudem keinerlei Antworten auf die echten Fragen von morgen liefern.
La Libre Belgique beschäftigt sich ihrerseits eben mit besagter "Cancel Culture". Jüngstes Beispiel ist die Diskussion um den norwegisch-britischen Schriftsteller Roald Dahl. Immer systematischer fordern Aktivisten, literarische Werke umzuschreiben. Glattgebügelt werden sollen sie: Begriffe, die heute problematisch sind, sollen ersetzt, manchmal sogar die Hautfarbe oder das Geschlecht von Protagonisten verändert werden. Aber wem hilft es, wenn plötzlich verschwiegen wird, dass Schwarze seit jeher diskriminiert oder dass Frauenrechte jahrhundertelang mit Füßen getreten wurden? Jede Literatur war immer in einen Kontext eingebettet, ein Spiegelbild ihrer Zeit. Wieso muss man all das plötzlich anpassen? Und wer kann sich das überhaupt anmaßen? Wer entscheidet, was akzeptabel ist und was nicht? Wir können unsere Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Nur wenn man seine Geschichte kennt und versteht, kann man verhindern, dass sie sich wiederholt.
Roger Pint