"Die Alliierten werden erstmal keine Kampfpanzer in die Ukraine schicken, aus Angst vor einer Eskalation", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Keine Einigung über Panzerlieferungen", so auch die Schlagzeile des GrenzEchos. Le Soir benennt einen Schuldigen: "Deutschland bleibt stur und verweigert nach wie vor die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine".
Die Verteidigungsminister von mehr als 50 Ländern haben am Freitag auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland über weitere Militärhilfen für die Ukraine beraten. Es wurde auch ein stattliches Paket geschnürt. Und auch Belgien beteiligt sich: "Militärhilfe in Gegenwert von 180 Millionen Euro für die Ukraine", präzisiert Het Laatste Nieuws auf seiner Titelseite. Allerdings: "Das wichtigste Instrument des Orchesters fehlt", so formuliert es De Morgen im Innenteil: Nach wie vor liefert der Westen eben keine Kampfpanzer.
In Richtung einer Kriegslogik
Die westlichen Alliierten zögern immer noch, kann L'Avenir in seinem Leitartikel nur feststellen. Das gilt in erster Linie für die deutsche Bundesregierung, die sich nach wie vor weigert, den Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz macht seine Haltung von den Amerikanern abhängig: "Nur wenn die USA ihren Abrams in die Ukraine schicken, würde Deutschland auch den Leopard zur Verfügung stellen". Aber eigentlich hat Deutschland Angst vor einer neuen Eskalation des Konflikts, genauer gesagt, dass sich der Krieg über die Grenzen der Ukraine hinaus ausdehnt. Wir stehen ohne Zweifel vor einer Stunde der Entscheidung.
Klar: Wir befinden uns wohl gerade tatsächlich in einem entscheidenden Augenblick, glaubt auch De Standaard. Und doch erbitten sich die Deutschen noch weitere Bedenkzeit. Aber: In Ramstein fiel doch auf, dass die Partner sehr respektvoll auf das Berliner Zaudern reagiert haben. Das ist wohl ein Zeichen dafür, dass vielen Europäern im Moment mulmig zumute ist. Denn niemand will Putin dazu provozieren, einen Dritten Weltkrieg vom Zaun zu brechen. Auf der anderen Seite ist man sich aber auch dessen bewusst, dass eine zu zögerliche Haltung letztlich die Erfolgschancen der Ukraine mitunter dramatisch schmälern kann. Auch Europa bewegt sich also notgedrungen mit Riesenschritten in Richtung einer Kriegslogik.
Das "Panzer-Dilemma"
Für die Europäer fühlt sich das Ganze offensichtlich wie ein Drahtseilakt an, analysiert Le Soir: Man schwankt so ein bisschen hin und her, sucht sein Gleichgewicht. Doch je länger der Krieg dauert, desto mehr flirtet der Westen mit dem Status einer virtuellen Kriegspartei. Natürlich haben sich die Alliierten längst für eine Seite entschieden: "Russland muss verlieren", "Die Ukraine muss gewinnen", "Die Ukraine darf nicht verlieren": Gleich wie man es formulieren will, für den Westen geht es darum, Europa und seine demokratischen Werte zu schützen. Und das sorgt ganz offensichtlich dafür, dass sich die Grenzen in den Köpfen immer weiter verschieben. Aber eben manchmal zaghaft.
De Tijd spricht von einem "Panzer-Dilemma". In Ramstein hat am Ende keiner der Partner der Ukraine Kampfpanzer in Aussicht gestellt. Für die Amerikaner wäre der deutsche Leopard 2 die geeignetste Waffe, die den Ukrainern am ehesten helfen würde. Auf jeden Fall geeigneter als der amerikanische Abrams. Deutschland will aber erst liefern, wenn alle Alliierten das auch tun. Dabei haben die Ukrainer Kampfpanzer bitter nötig. Im Augenblick bewegt sich die Frontlinie so gut wie nicht mehr, aus dem Konflikt ist ein Stellungskrieg geworden. Und Russland nutzt diesen Stillstand, um seine Truppen zu verstärken. Der Einsatz von Kampfpanzern durch die Ukraine könnte die Russen genau daran hindern. Auf der anderen Seite bleibt aber die Angst des Westens vor einer Eskalation.
Der Kampf auch für unsere Freiheit
"Welche Eskalation denn bitte?", fragt giftig La Libre Belgique. Wir sehen doch längst, wozu die russische Truppen in der Lage sind: ungeordneter Rückzug an allen Fronten, selbst kleinste Städte können nur nach monatelangem harten Kampf und unter schweren Verlusten eingenommen werden. Mal ehrlich: Wer sieht denn eine solche Armee plötzlich nach Helsinki, Warschau oder gar Brüssel marschieren? Statt einer Eskalation sieht man vielmehr nur die außerordentliche Brutalität der Russen in ihrem ungerechtfertigten Angriffskrieg. Ob der Westen nun angebliche Rote Linien überschreitet oder nicht: Die einzige Eskalation, ist die der Gewalt auf dem Schlachtfeld. Genau vor diesem Hintergrund war das Treffen in Ramstein am Freitag letztlich nur grausame Zeitverschwendung, in dem Sinne, dass dadurch das tödliche Spiel von Wladimir Putin nur verlängert wird.
Auch Het Laatste Nieuws mahnt zur Eile. Das deutsche Zögern darf nicht zu lange dauern. Bislang kann man nur feststellen, dass die russische Armee eben keine gut geölte Maschine ist, sondern bestenfalls ein verrosteter Lada. Fachleute sind davon überzeugt, dass die Ukraine mit den richtigen Waffen schon im nächsten Sommer sogar die Krim erobern könnte. Den Russen jetzt eine Atempause zu geben, das ist wesentlich gefährlicher als die hypothetische Möglichkeit einer nuklearen Eskalation. Bislang galt die Maxime: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren. Es wird Zeit, eine neue Order auszugeben, die da lautet: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Russland hat von Anfang an deutlich gemacht, dass es auch andere europäische Länder bedroht. Die Ukrainer kämpfen nicht nur für ihre Freiheit, sondern auch für unsere.
Roger Pint