"Die ermordete Unschuld", titelt Gazet van Antwerpen. "Sie war eine Prinzessin mit einem goldenen Herzen", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. Beide Zeitungen bringen heute ein Porträt der elfjährigen Firdaous. Das Mädchen gilt als das erste unschuldige Todesopfer im Antwerpener Drogenkrieg. Am Montagabend hatten unbekannte Täter eine Hausfassade im Stadtteil Merksem beschossen. Drei Kugeln durchschlugen ein Garagentor. Dahinter befand sich Firdaous, das Kind wurde tödlich getroffen. "Das Mädchen wurde mit Kriegsmunition getötet", titelt Het Laatste Nieuws. Die am Tatort sichergestellte Munition weist darauf hin, dass die Täter ein Sturmgewehr benutzt haben.
Allgemein besteht kein Zweifel daran, dass dieser Vorfall im Zusammenhang mit dem Antwerpener Drogenkrieg steht. La Libre Belgique spricht auf Seite eins von einer "fatalen Eskalation". Für La Dernière Heure "hat der Drogenkrieg gerade erst begonnen". Experten befürchten nämlich, dass der Tod des elfjährigen Mädchens die Gewaltspirale nur weiter befeuern wird.
"Elf Jahre!", meint L'Echo nachdenklich in seinem Leitartikel. Elf Jahre war das Mädchen alt. Den Kopf voller Träume und Hoffnung. Das Leben lag noch vor ihr. Eben aus diesem Leben wurde sie gewaltsam gerissen. Firdaous ist das erste unschuldige Opfer im Antwerpener Drogenkrieg.
Genug ist genug!
Noch eine andere Zahl: 110. Im vergangenen Jahr wurden im Antwerpener Hafen 110 Tonnen Kokain sichergestellt. Das ist 23 mal mehr als vor neun Jahren. Bei einem Straßenverkaufswert von 50 Euro pro Gramm sprechen wir hier mal eben von einem Gegenwert von 5,5 Milliarden Euro. Und Experten gehen davon aus, dass allenfalls 10 bis 15 Prozent der Drogen beschlagnahmt werden können, die im Antwerpener Hafen ankommen. Das Phänomen hat in Belgien inzwischen beunruhigende Ausmaße angenommen. Insbesondere die föderalen Behörden müssen jetzt mehr denn je entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen.
"Und wir Antwerpener, wir haben die Nase voll", übersetzt Gazet van Antwerpen das Grundgefühl vieler ihrer Leser. "Ich bin wütend!", sagte auch schon Bart De Wever und sprach damit ebenfalls den Einwohnern seiner Stadt aus der Seele. Und wenn De Wever vom Föderalstaat ein entschlossenes Durchgreifen fordert, spricht da nicht der Oppositionspolitiker, sondern eben ein besorgtes Stadtoberhaupt. Entsprechend sollte man seine Forderung nach einer Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates ernstnehmen. Das ist nämlich kein politischer oder ideologischer Standpunkt, vielmehr spricht hier der gesunde Menschenverstand. Anders gesagt: Gerade in dieser Geschichte sollte man damit aufhören, in seinem Gegenüber immer nur den politischen Widersacher zu sehen. Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Denn Antwerpen will nicht noch ein Kind an den Drogenkrieg verlieren.
Auch Het Laatste Nieuws hält die mögliche Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates für legitim. Klar: Damit würden hohe Erwartungen geschürt. Erwartungen, die aber eigentlich niemand erfüllen kann. Denn machen wir uns nichts weis: Im Kampf gegen die Drogenschmuggler gibt es leider kein Patentrezept. Dieses Problem kriegt man nicht mal eben im Handumdrehen gelöst. Dennoch bedarf es jetzt eines starken Signals. Man muss demonstrieren, dass der Staat in diesem War on Drugs jetzt einen Gang höher schaltet. Die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates wäre ein solches Signal.
Schlimmer geht immer
Andere Zeitungen sind da wesentlich pessimistischer. Klar: Der Tod eines elfjährigen Mädchens ist ein Schock. Leider ist es aber eine Illusion zu glauben, dass diese Tragödie irgendwas verändern wird, glaubt etwa Het Nieuwsblad. Die Tentakel der Drogenmafia reichen inzwischen in alle Teile der Gesellschaft. Die Gefahr, die von den mächtigen Kartellen mit ihrem vielen Geld ausging, wurde jahrelang unterschätzt. Und Panzerwagen in den Straßen von Antwerpen würden daran nichts ändern. Dies ist eine komplexe Angelegenheit mit weltweiten Verästelungen. Sie beginnt bei südamerikanischen Bauern und endet bei gesuchten Drogenbaronen, die in Dubai in Luxusvillen wohnen. Hier gibt es keine einfachen Lösungen. Und wenn sie noch so gut klingen.
De Standaard sieht das ähnlich. Und man darf da nicht naiv sein: In diesem War on Drugs gibt es noch viele weitere Eskalationsstufen. So traurig es klingt, aber schlimmer geht immer. Es reicht ein Blick in die benachbarten Niederlande, ganz zu schweigen von Mexiko. Diese Beispiele zeigen im Übrigen, dass politische Unentschlossenheit oder Schwäche das Ganze nur noch schlimmer machen. Anders gesagt: Wir müssen dringend noch mehr Menschen und Mittel mobilisieren.
Eigentlich müsste die Drogenpolitik insgesamt überdacht werden, glaubt Het Belang van Limburg. Und das möglichst auf europäischer Ebene. Und zuallererst wird man dann zugeben müssen, dass es inzwischen unmöglich geworden ist, den Drogenschmuggel zu unterbinden. Wie gehen wir als Gesellschaft mit Drogen um? Müsste man Kokain nicht vielleicht legalisieren? Wir sind nicht davon überzeugt, aber es ist nicht verboten, darüber nachzudenken. In einem Punkt hat Premierminister De Croo jedenfalls Recht: Jeder Kokainkonsument hat Blut an den Händen.
"Ebenso tragisch wie grotesk"
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit dem Schicksal von Olivier Vandecasteele. Der 41-jährige Entwicklungshelfer wurde im Iran zu 40 Jahren Haft, sowie zu 74 Peitschenhieben verurteilt. Ihm wurde insbesondere Spionage zur Last gelegt.
Das ist ebenso tragisch wie grotesk, wettert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Die iranischen Hardliner nehmen weiterhin Bürger westlicher Staaten unter den abenteuerlichsten Vorwänden als Geisel. Dies, um das zu bekommen, was über normale diplomatische Kanäle aussichtslos wäre. Im vorliegenden Fall ist es offensichtlich, dass das Regime einen ehemaligen iranischen Diplomaten freipressen will, der in Belgien wegen terroristischer Umtriebe zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Und Olivier Vandecasteele ist nur eine Spielfigur in diesem Kräftemessen zwischen Teheran und Brüssel.
Auch L'Avenir spricht von einer "niederträchtigen Erpressung". Der unglückliche Olivier Vandecasteele ist eigentlich nichts anderes als Tauschware. Angesichts der anhaltenden Proteste, die die Mullahs offensichtlich nervös machen, setzt das Regime in Teheran offensichtlich mehr denn je auf eine Strategie des Terrors. Wie soll man mit einem solchen Staat verhandeln? Einem Staat, der seine Jugend ohne faires Gerichtsverfahren exekutiert; einem Staat, in dem angebliche Gotteslästerung mit dem Tod bestraft wird; einem Staat, der den leisesten Hauch von Kritik nicht ertragen kann. Armer Iran! Arme Iraner und Iranerinnen!
Roger Pint