"Terrorprozess: Vorsitzende mit Geduld am Ende", titelt das GrenzEcho auf Seite eins. "Totales Durcheinander bei Prozess um Anschläge", schreibt L'Echo. "Die Affäre um die Leibesvisitationen lässt einen Prozess ohne Angeklagte befürchten", so La Libre Belgique.
Vor dem Hintergrund der fortdauernden Polemik um die sogenannten "Nackt-Durchsuchungen" musste die Sitzung des Terrorprozesses von Brüssel am Mittwoch erneut vorzeitig beendet werden, rekapituliert De Tijd in ihrem Leitartikel. Unlängst hatte ja ein Gericht per Eilverfahren entschieden, dass die Angeklagten nicht systematisch gezwungen werden dürfen, sich für jede Leibesvisitation vollständig auszuziehen, weil dies eine Verletzung ihrer Menschenrechte darstelle. Die Polizei hält jedoch aus Sicherheitsgründen an der Maßnahme fest.
Diese Polemik ist der x-te Zwischenfall in Folge, kommentiert die Zeitung, nach der Affäre um die Glasboxen für die Angeklagten, den Problemen bei der Zusammenstellung der Geschworenenjury und den Beschwerden der Angeklagten über laute Musik während ihres Transfers aus dem Gefängnis in den Gerichtssaal. Eigentlich hatte der Terrorprozess schon am 10. Oktober beginnen sollen, aber drei Monate später ist er wegen dieser Scharmützel am Rande noch immer nicht richtig in Gang gekommen.
Die Geduld der Opfer der Anschläge wird weiter auf eine harte Probe gestellt, sie müssen nach wie vor darauf warten, dass sich der Prozess mit dem eigentlichen Kern der Sache befasst, den Attentaten. Der föderale Prokurator Frédéric Van Leeuw hatte schon vor zwei Jahren gewarnt, dass ein Assisenprozess mit einer Volksjury nicht der ideale Ort sei für einen so großen und komplexen Strafprozess. Mit jedem neuen Prozesstag scheint klarer, dass er mit seiner Einschätzung Recht hatte, beklagt L'Echo.
"Fiasko"
Es war so befürchtet worden. Und gleichzeitig war es so vorhersehbar, giftet La Dernière Heure. Man muss es sagen, wie es ist: Bislang ist der Mega-Prozess um die Anschläge von Brüssel ein Fiasko. Der neuerliche kafkaeske Rummel ist umso bedauernswerter, weil alle diese Fragen im Vorfeld hätten geklärt werden können. An Zeit dafür hat es sicherlich nicht gemangelt. Aber vielleicht am dafür notwendigen Mut? Den Opfern bleibt derweil nichts anderes übrig, als bitter enttäuscht zuzuschauen, wie Belgien bei diesem gerichtlichen Stresstest vor den Augen der ganzen Welt versagt, meint La Dernière Heure.
Unter anderem der Anwalt von Salah Abdeslam hält den Prozess wegen der Durchsuchungen für "ungerecht", hält Het Laatste Nieuws fest. Schon der Vorwurf, dass die Maßnahme "unmenschlich" sei, ist kaum nachvollziehbar. Geschweige denn "ungerecht". Denn schließlich handelt es sich hier nicht um Normalsterbliche mit untadeligem Ruf oder einer leeren Strafakte. Salah Abdeslam etwa ist schon in Paris zur schwerstmöglichen Strafe verurteilt worden. Wenn er kein Sicherheitsrisiko darstellen soll, wer denn bitte dann? Ja, die Verteidigung hat in einem Rechtsstaat das Recht, alle Mittel auszuschöpfen. Selbst dann, wenn das Ziel ganz klar darin besteht, alle Beteiligten zu erschöpfen und den Prozess so scheitern zu lassen.
Aber hier geht es schon lange nicht mehr um die Verteidigung von Menschen, die als unschuldig gelten müssen, bis ihre Schuld bewiesen ist. Juristisch betrachtet mag die Taktik der Anwälte der Angeklagten zulässig sein. Aus menschlicher und gesellschaftlicher Sicht jedoch sicher nicht, wettert Het Laatste Nieuws.
Recht muss mit Ruhe und Respekt gesprochen werden
Le Soir hält das Chaos zwar ebenfalls für unerträglich und unwürdig, warnt jedoch davor, nur den Verteidigern die Schuld zuschieben zu wollen. Es ist nicht die Schuld der Anwälte, dass der Prozess stockt, dass sich bestimmte Angeklagte nun als Opfer präsentieren können - selbst, wenn sie von der Situation profitieren können. In unserem Rechtsstaat hat jeder Angeklagte das Recht auf einen Verteidiger, dessen wichtigste Aufgabe es ist, für einen fairen Prozess für seinen Mandanten zu kämpfen. Unabhängig davon, wie schlimm die Taten sind, die den Angeklagten vorgeworfen werden, unterstreicht Le Soir.
Wir dürfen nicht naiv sein, warnt La Libre Belgique: Die Angeklagten und ihre Anwälte werden sich auf jede Chance stürzen, die ihnen die mangelhafte Vorbereitung des Prozesses bietet. Deshalb muss größte Vorsicht geboten sein, um ihnen bloß keine Vorwände auf dem Silbertablett zu servieren, damit sie sich vor ihrer Verantwortung drücken können. Mit Respekt und Ruhe - so muss Recht gesprochen werden. Darauf haben vor allem die Opfer und ihre Angehörigen ein Anrecht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir davon aber noch weit entfernt. Sehr weit, kritisiert La Libre Belgique.
Eine für Belgien besonders bittere Pille
Niemand wird es öffentlich in die Mikrofone oder Kameras sagen, aber in diesem "Jahrhundertprozess" haben sich alle mit allen verkracht, so L'Echo: Viele in der föderalen Staatsanwaltschaft können den Appellationshof nicht mehr leiden, die Anwälte können nicht mehr mit der Polizei und umgekehrt, die Polizei ihrerseits hört nicht mehr auf die Staatsanwaltschaft und auch kaum noch auf die Gerichtsvorsitzende. Und die Politik - allen voran Justizminister Vincent Van Quickenborne - scheint die Kontrolle über ihre Behörden verloren zu haben.
Dass gerade in unserem Land, das ja bekannt ist für seine Kompromisse, niemand mehr miteinander spricht, ist eine besonders bittere Pille. Es ist am Justizministerium, jetzt das Wort zu ergreifen und dieser Schande ein Ende zu bereiten, fordert L'Echo.
Boris Schmidt