"Die fünf Belgier, die das Jahr 2022 geprägt haben", titelt La Libre Belgique. "Ostbelgier wollen optimistisch bleiben", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Wir wünschen allen Lesern ein frohes neues Jahr 2023", so die einzige Überschrift auf der Titelseite von Het Nieuwsblad.
Am letzten Tag des Jahres sind sowohl die Titelseiten als auch die Leitartikel der Zeitungen geprägt vom anstehenden Jahreswechsel. Die Kommentatoren ziehen Bilanz der vergangenen zwölf Monate und machen sich Gedanken dazu, wie 2023 werden könnte.
La Dernière Heure erinnert: Vor einem Jahr waren wir voller Hoffnung. Die Pandemie und die Einschränkungen wegen des Coronavirus lagen hinter uns. Das Leben, das richtige Leben, das Leben, das wir lieben, konnte endlich wieder beginnen. Dieses Denken war zu schön, um wahr zu sein. Am 24. Februar überfiel Russland die Ukraine und löste dadurch eine Krise aus, die wir alle gerne vermieden hätten. Zum einen gab es die Angst vor einem Atomkrieg. Zum anderen stiegen die Energierechnungen in schwindelerregende Höhen. Zum Glück gab es in diesem Jahr aber auch bewegende Momente mit Remco, van Aert, Stromae oder Angèle. Wir konnten unsere Tränen fließen lassen beim Abschied von bedeutenden Menschen, von Arno bis Pelé. Kurz: Wir konnten trotz allem leben, bilanziert La Dernière Heure und setzt damit den Ton, der auch in anderen Leitartikeln anklingt.
Nur Krieg, Energiekrise und schlechte Politik?
De Morgen notiert: Man könnte das ablaufende Jahr wie folgt zusammenfassen: ein Krieg in Europa, eine Energiekrise mit Energiepreisexplosion und eine Inlandspolitik, die von Misstrauen und Verzagtheit geprägt war. Man könnte aber auch die positiven Seiten hervorheben. Zum Beispiel das Gefühl des gemeinsamen Widerstands gegen die russische Aggression, die Solidarität mit den Flüchtlingen aus der Ukraine, auch das Engagement, das viele Bürger in diesem unruhigen Jahr 2022 gezeigt haben. Wer all diese kleinen Dinge zusammenzählt, der kann daraus Hoffnung schöpfen für die Zukunft. Sie können der Motor für ein gutes neues Jahr sein, glaubt De Morgen.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo schreibt: Wie oft haben wir die Lust verspürt, endlich zu etwas anderem übergehen zu können. All die Krisen hinter uns zu lassen, damit es endlich besser wird. Zu oft aber haben wir darauf gehofft, dass diese Veränderung von irgendwo anders herkommt. Quasi vom Himmel fällt. Dabei liegt es oft an uns selbst, die Initiative zu ergreifen und Dinge zu ändern. Wir alle haben die Fähigkeit dazu. Das sollten wir uns für 2023 zu Herzen nehmen, rät L'Echo.
Entscheidendes Jahr 2023
La Libre Belgique meldet: Angesichts einer erdrückenden Inflation wird das kommende Jahr entscheidend sein. Wir müssen uns weiter widerstandsfähig zeigen. Wir müssen unsere Werte verteidigen und unsere demokratischen Grundfesten stärken. Inmitten einer Energiekrise stehen wir vor großen Herausforderungen. Bürger und Unternehmen werden es nicht alleine schaffen, die Krise zu bewältigen. Sie brauchen einen gesetzlichen, wirtschaftlichen und steuerpolitischen Rahmen dafür, der den Krisenzeiten Rechnung trägt. Dafür brauchen wir unsere Regierungen. Sie wären gut beraten, das kommende Jahr nicht als Wahlkampfjahr für die Wahlen 2024 zu vergeuden. Besser sollten sie gut regieren, mahnt La Libre Belgique.
Gutes Regieren fordert auch De Standaard von den Politikern. Allerdings aus einem anderen Grund. Die Zeitung führt aus: Politisch war das Jahr 2022 vertrackt. Es hat vor allem den Aufstieg des Vlaams Belang zur beliebtesten Partei in Flandern gebracht. Das ist natürlich besorgniserregend, liegt aber im Trend. Überall auf der Welt erleben populistische und rechte Parteien einen neuen Frühling. Das hat viel mit verunsicherten Menschen zu tun, die keinen Halt mehr finden und das Gefühl haben, Verlierer der aktuellen Zeiten zu sein. Aufgabe unserer Politiker muss es sein, diesen Bürgern wieder Zugriff auf ihr eigenes Leben zu ermöglichen. Sie müssen Vertrauen in die Zukunft bekommen. Das erreichen demokratische Politiker aber nicht, wenn sie sich in politische Spielchen verlieren, sondern nur durch gute Politik, unterstreicht De Standaard.
"Frohes Neues Jetzt"
Le Soir beschäftigt sich zum Ausgang des Jahres mit dem Wetter. Damit haben sich die Menschen schon immer beschäftigt, behauptet die Zeitung. Lange Zeit war das Wetter "herrlich, sonnig, grau oder regnerisch". Heute ist das Wetter einfach nur komisch. Denn Silvester bei 14 Grad in Brüssel und bei 16 Grad in Paris zu feiern, hört sich wie eine Anomalie an. Sehr wahrscheinlich ist das dem Klimawandel geschuldet. Gut immerhin, dass die Sorge um das Klima endlich mehr Menschen zu beschäftigen scheint. Mit Blick auf 2023 ist es allerdings paradox, dass der nächste Weltklimagipfel gerade in Dubai stattfinden soll, dem zweitgrößten Erdölproduzenten im Mittleren Osten. 2022 endet widersprüchlich, bemerkt Le Soir.
Het Nieuwsblad schließlich findet: Nach den überraschenden Erfahrungen des zu Ende gehenden Jahres fällt es schwer, den Wunsch "Frohes Neues Jahr" auszusprechen. Hoffnungsvoll hatten wir das schon vor einem Jahr so gemacht – und wurden maßlos enttäuscht. Eine Lehre aus 2022 ist, dass die Welt noch ein Stück unvorhersehbarer geworden ist. Vielleicht sollten wir bescheidener werden und uns heute Nacht nur ein "Frohes Neues Jetzt" wünschen. Denn den Augenblick kennen wir, die Zukunft nicht, bilanziert Het Nieuwsblad.
Kay Wagner