"Vivaldi findet Lohneinigung: Betriebe können Arbeitnehmern Schecks von bis zu 750 Euro geben", titelt De Tijd. "Eine Prämie zusätzlich zur Indexierung – aber nicht für alle", unterstreicht Le Soir auf Seite eins.. "Tarifverhandlungen: Kernkabinett legt Sozialpartnern Kompromiss vor – Mindestlöhne sollen steigen – Prämien können ausgezahlt werden", so die Überschrift beim GrenzEcho.
Die Föderalregierung will so die auf Grund gelaufenen Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften über die Entwicklung der Löhne wieder flottbekommen, kommentiert De Tijd. Die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation treibt aber die Lohnkosten der Betriebe schon um zehn Prozent nach oben. Und jetzt soll eben noch besagte Prämie oben drauf kommen. Damit untergräbt die Regierung das Lohnnormgesetz. Das Gesetz also, das garantieren soll, dass die Entwicklung der Löhne in Belgien nicht aus dem Ruder läuft im Vergleich zu den Nachbarländern, sprich die Wettbewerbsfähigkeit schützen soll.
Es stimmt zwar, dass gut laufende Betriebe sich die Zahlung so einer Prämie leisten können. Aber es gibt eben auch viele Betriebe, die es sich wegen steigender Energie- und Personalkosten nicht erlauben können. Aber auch sie werden von den Gewerkschaften unter Druck gesetzt werden, ihren Arbeitnehmern eine Prämie zu zahlen. Wenn die Regierung wirklich will, dass die Lohnentwicklung sich besser an den finanziellen Ergebnissen orientiert, dann darf sie nicht nur Prämien für gut laufende Betriebe erlauben. Sondern sie muss auch eine Aussetzung der Lohnindexierung erlauben, wenn Betriebe rote Zahlen schreiben. Nur so kann das notwendige Gleichgewicht erhalten werden, meint die Wirtschaftszeitung.
Ein denkbar schlechter Zeitpunkt
Seit gestern Nacht wird bei der Bahn gestreikt. Das schlägt sich zwar auf den Titelseiten nur begrenzt nieder, aber dafür umso mehr in den Leitartikeln. Dieses Mal sind es drei Tage, jawohl, drei Tage!, beklagt etwa La Libre Belgique. Schüler, Studenten, Arbeiter, Unternehmen und zahlreiche Bürger werden so wieder in eine sehr schwierige Lage gebracht. Das ist nicht hinnehmbar. Gerade in Zeiten, in denen die Belgier eigentlich so stark wie möglich dazu animiert werden sollten, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Denn hohe Spritpreise belasten die Haushaltskassen und außerdem muss Belgien seinen CO2-Ausstoß drastisch reduzieren. Dieser lange Streik kommt also zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, die Bahn sabotiert sich selbst, so La Libre Belgique.
Nein, es läuft wirklich nicht gut mit der Bahn
Es ist schon das dritte Mal in zwei Monaten, dass die Gewerkschaften den Verkehr auf der Schiene zum Großteil zum Erliegen bringen, erinnert De Standaard. Dabei hat diese Art von Aktionen schon längst aufgehört, ein Druckmittel zu sein, es ist einfach nur noch ein Protest. Die Unannehmlichkeiten für die Reisenden sind da nur noch eine Nebenwirkung. Je häufiger bei der Bahn gestreikt wird, desto weniger wirksam sind solche Aktionen: Der Schockeffekt ist schon lange verdampft, selbst von Beunruhigung oder Empörung wegen des Streiks kann man kaum noch sprechen, weder bei Passagieren noch bei der Geschäftsführung.
Das ändert freilich nichts daran, dass die Forderungen der Gewerkschaften an sich durchaus legitim sind: Die Kombination von Personalmangel und veraltetem Material führt zu Arbeitsbedingungen, die man niemandem wünschen kann. Es ist wirklich nicht zu bestreiten, dass bei der SNCB sehr viel schiefläuft. Aber niemand braucht einen Streik, um sich das ins Gedächtnis zu rufen. Der Streikeifer der Gewerkschaften wird nichts ändern, glaubt De Standaard.
Es ist schon vielsagend, dass die Bahn drei Tage lang streiken wird und die Reaktion der Öffentlichkeit großteils aus Schulterzucken besteht, schreibt De Morgen. Pendler hoffen insgeheim, über den garantierten Minimaldienst vielleicht endlich mal einen pünktlichen und ruhigen Zug zu bekommen. Oder sie arbeiten einfach ein paar Tage aus dem Home-Office. Oder sie stürzen sich eben mit dem Auto in die Staus. Selbst die Streik-Waffe der Bahn scheint also abgenutzt und ineffizient. Nein, es läuft wirklich nicht gut mit der Bahn in unserem Land, resümiert De Morgen.
Einfach mehr Geld ist keine Lösung
Der große Vorteil des Streiks ist, dass man jetzt zumindest vorher weiß, wann die Züge nicht fahren werden, stichelt Het Laatste Nieuws. Minimaldienst? Das ist doch der Dienst, den die SNCB an Tagen bietet, an denen nicht gestreikt wird, oder? Die Gewerkschaften haben Recht, gegen den Material- und Personalmangel zu protestieren. Sie haben auch Recht, wenn sie fordern, dass ihre Firma ein effizienter Verkehrsbetrieb werden soll. Allerdings ist jeder Versuch, das zu erreichen, in der Vergangenheit abgeblockt worden. Auch durch die Gewerkschaften selbst, die sich etwa gegen die Digitalisierung und die Schließung von Schaltern gewehrt haben und gegen einen besseren Einsatz des vorhandenen Personals. Und waren es nicht die Gewerkschaften, dann waren es die Politiker, die in ihrem jeweiligen Hinterhof gegen die Schließung von Stationen oder Linien auf die Barrikaden gingen, egal, wie gering das Passagieraufkommen auch war.
Um es auf den Punkt zu bringen: Einfach nur mehr Geld ist nicht die Lösung für die Probleme der Bahn. Das Problem SNCB ist nämlich in etwa so komplex und verworren wie die staatliche Neuordnung des Landes. Mehr als zehn Jahre hat es keinen Geschäftsführungsvertrag zwischen der Bahn und der Politik, der eine realistische Vision für die Zukunft erlaubt hätte, gegeben. Streiks jedenfalls werden die Züge nicht besser fahren lassen. Und sie werden denjenigen, die ihn aufbringen müssten, nicht den notwendigen Mut geben, etwas zu ändern, ist Het Laatste Nieuws überzeugt.
Boris Schmidt