"Wir stehen immer hinter euch", titelt La Dernière Heure. "Die Stunde der Wahrheit", so die Schlagzeile von Le Soir. "Endlich mal fröhliche Neuigkeiten von dieser WM", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Für die Roten Teufel beginnt heute die Fußball-WM. Die Nationalmannschaft bestreitet am Abend ihr Auftaktspiel gegen Kanada. L'Avenir hat da offensichtlich kein gutes Gefühl: "Martinez nominiert wieder mal seine alte Garde", schreibt das Blatt auf Seite eins. Der Nationaltrainer setzt weiter auf die vielgerühmte "Goldene Generation"; nur ist die in die Jahre gekommen.
Het Nieuwsblad kommt auf seiner Titelseite noch einmal zurück auf die Polemik um die "One Love"-Armbinde. Abwehrspieler Jan Vertonghen hatte gestern erklärt, er wolle sich nicht dazu äußern, ansonsten dürfe er vielleicht gar nicht mehr auf den Platz: "Ich habe Angst", zitiert ihn die Zeitung in fetten Buchstaben.
Die Rechnung der Scheichs ist nicht aufgegangen
Diese Fußball-WM sorgt immer noch für mehr Schlagzeilen neben dem Platz statt über das eigentliche Spielgeschehen, stellt La Dernière Heure in ihrem Leitartikel verbittert fest. "Man sollte Politik und Sport trennen, heißt es immer so schön. In Katar wird diese Maxime Lügen gestraft. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die aktuelle Polemik um die "One Love"-Armbinde das Golfemirat auch nur ansatzweise zum Umdenken bewegen wird. Aber so viel ist klar: Die Rechnung der Scheichs ist nicht aufgegangen. Katar wollte mit seiner WM glänzen. Erreicht hat man das Gegenteil.
L'Avenir beschäftigt sich seinerseits mit dem rein sportlichen Geschehen und insbesondere mit der Mannschaftsaufstellung der Roten Teufel. In der Startelf sind acht Spieler, die schon an ihrer dritten Weltmeisterschaft teilnehmen. "Viel Erfahrung auf dem Platz", könnte man meinen. Der Umkehrschluss stimmt allerdings auch: Diese Mannschaft ist alt. Und irgendwie überwiegt derzeit der Pessimismus. Die Roten Teufel werden ihren Kritikern beweisen müssen, dass sie es immer noch schaffen, die Fußballwelt zu verzaubern.
Der Gaspreisdeckel, eine Waffe ohne Munition?
Viele Zeitungen heben aber auch den Gaspreisdeckel hervor, den die EU-Kommission gestern vorgestellt hat. Das Urteil auf den Titelseiten ist überwiegend negativ: "Die EU-Kommission setzt den Gaspreisdeckel unbrauchbar hoch an", titelt etwa De Tijd. "Unbrauchbar hoch für Belgien", unterstreicht L'Echo. In der Tat: Der Gaspreisdeckel greift erst, wenn der Gaspreis zwei Wochen lang über 275 Euro pro Megawattstunde liegt. Das ist in den letzten Monaten allerdings nicht ein einziges Mal passiert. "Der Gaspreisdeckel droht zu einer Waffe ohne Munition zu werden", glaubt denn auch De Standaard auf seiner Titelseite.
Belgischer Haushalt: dreiste Hausarbeit der Regierung
Für Diskussionsstoff sorgt heute aber auch das gestrige Urteil der EU-Kommission über das belgische Budget: "Miserabler Haushalt: Europa tadelt Belgien", so resümiert es das GrenzEcho auf seiner Titelseite.
Es war doch eine ziemlich dreiste Hausarbeit, die die Regierung De Croo da bei der EU eingereicht hatte, konstatiert L'Echo in seinem Leitartikel. Ein Defizit von sage und schreibe 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, da muss man Nerven haben. Belgien ist damit der schlechteste Schüler unter den 27 Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission moniert unter anderem, dass die belgischen Energiehilfen nicht zielgerichtet genug seien. Natürlich ist es politisch gesehen leichter, mit der Gießkanne möglichst vielen Menschen zu helfen. Innerhalb der Vivaldi-Koalition wollen aber immer noch einige nicht einsehen, dass das so nicht weitergehen kann, und dass man nur denjenigen helfen muss, die wirklich Unterstützung brauchen.
Die EU-Kommission hat jetzt den Finger in die Wunde gelegt, analysiert sinngemäß Het Belang van Limburg. Die belgischen Haushaltszahlen sind regelrecht katastrophal. Ein Haushaltsdefizit von 5,8 Prozent! Das bedeutet, dass der Staat im kommenden Jahr über 33 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen wird. Das sind 2.900 Euro pro Belgier. Und das, wie gesagt, in einem Jahr. Da muss man dich kein Doktor der Wirtschaftswissenschaften sein, um zu erkennen, dass das so nicht weitergehen kann. Ausgerechnet jetzt kommt die Vivaldi-Koalition aber nochmal besonders ungeordnet daher. Gerade erst musste ja die zurückgetretene Haushaltsstaatssekretärin Eva De Bleeker ausgetauscht werden. Anderthalb Jahre vor der Superwahl 2024 ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Equipe noch die nötigen Reformen im Gang setzen kann.
Belgien muss an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten
"Die Uhr tickt", meint auch besorgt De Morgen. Oder, wie der Frankophone sagt: "L'heure est grave". Das desaströse Zeugnis der EU-Kommission sollte die politisch Verantwortlichen jetzt aufrütteln. Wenn sich nichts ändert, dann steuert das Land nämlich auf den Abgrund zu. Und hier geht es nicht mehr nur um Zahlen vor oder hinter dem Komma. In diesem Budget zeigen sich auch schon die Konturen der Krisen der Zukunft. Insbesondere bedarf es einer wirklich entschlossenen Rentenreform. Wann ist der Druck endlich hoch genug, damit sich da mal was bewegt?
"Sollte Eva De Bleeker am Ende nicht doch Recht gehabt haben?", stichelt Het Laatste Nieuws. Sie hatte Zweifel, wollte Vorsicht walten lassen, was ihr letztlich den Kopf kostete. Die OpenVLD muss dringend an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten.
"Hier geht es um die Glaubwürdigkeit des Landes insgesamt", ist sogar La Libre Belgique überzeugt. Die EU-Kommission scheint Eva De Bleeker zumindest teilweise Recht zu geben. Premierminister De Croo setzt allzu sehr auf ungelegte Eier, was De Bleeker gerade vermeiden wollte. Belgien gibt derzeit in der EU jedenfalls keine gute Figur ab.
"Wir brauchen Reformen, keine weiteren Aufschübe", mahnt denn auch Le Soir. Wir brauchen Reformen, keine faulen Zahlenspielereien. Wir brauchen Reformen, um das Land und seine Wirtschaft fit für die Zukunft zu machen. Für eine Regierung, die gerade erst wieder von inneren Spannungen durchzogen wird, ist das womöglich eine "Mission impossible". Für Vivaldi schlägt jetzt die Stunde der Wahrheit.
Roger Pint