"Die Löhne werden in den nächsten zwei Jahren nicht steigen: Der Lohnkostennachteil gegenüber den Nachbarländern von sechs Prozent lässt den Zentralen Wirtschaftsrat eine Lohnmarge von Null beschließen, die Gewerkschaft gehen auf die Barrikaden", schreibt L'Echo auf Seite eins. "Lohnerhöhungen für vier Jahre bedroht", schreibt sogar Le Soir auf seiner Titelseite. "FGTB lässt Lohnverhandlungen platzen – Neuer Tarifvertrag praktisch unmöglich", so der zentrale Aufmacher beim GrenzEcho.
Die Leitartikel befassen sich jedoch mit anderen Themen. In Flandern sorgen sexuelle Übergriffe an Universitäten weiter für sehr viel Wirbel, vor allem wegen eines Vergewaltigungsfalls durch einen Professor an der Katholischen Universität Löwen. Der zuständige flämische Regierungskommissar hat gestern seinen Bericht zum Verhalten der Universität vorgestellt. Darin bescheinigt er der KU Löwen, prozedural korrekt und stets in Absprache mit dem Opfer und der Justiz gehandelt zu haben. Die Universität habe nicht versucht, den Fall zu vertuschen.
Das bedeutet aber nicht, dass alles einwandfrei gelaufen wäre, hebt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel hervor. Das war nämlich ganz und gar nicht der Fall, wie man an der langen Chronologie der Übergriffe des Professors sehen kann. Fünf Jahre, nachdem #MeToo die Welt überrollt hat und überall mächtige Männer ohne Sitten und Moral ins Wanken und zum Umfallen gebracht hat, hat die Welle jetzt die flämischen Universitäten mit voller Kraft erwischt. Es ist zu befürchten, dass der Löwener Professor kein Einzelfall bleiben wird. Die Opfer verdienen etwas Besseres, als sich kabbelnde flämische Minister mit Profilierungsdrang. Und die Universitäten müssen hart durchgreifen, um diese Art von Machtmissbrauch in Zukunft zu unterbinden, fordert Het Nieuwsblad.
Noch viel zu tun
Die ganze Geschichte droht, mit der Feststellung zu enden, dass alle mehr oder weniger getan haben, was in ihrer Macht stand, schreibt De Standaard. Von der Umgebung des Professors und seines Opfers über die Universität bis hin zur Justiz. Aber ist das wirklich das Beste, was wir zukünftigen potenziellen Opfern bieten können? Können wir wirklich sicher sein, dass Machtmissbrauch im universitären System so gut wie möglich begrenzt wird? Dass Kollegen die Warnzeichen erkennen und Hilfe anbieten? Dass die Gerichte schneller handeln werden? Die ehrliche Antwort auf diese Fragen kann kein vollmundiges "Ja" sein. Es ist noch sehr viel zu tun in puncto proaktiver und struktureller Reformen an den Universitäten, ist De Standaard überzeugt.
Gazet van Antwerpen ist erschüttert angesichts des Bilds, das sich an flämischen Universitäten jetzt bietet. Vor dem Fall in Löwen gab es ja bereits einen sehr ähnlichen in Gent. Hinzu kommen schwere Vorwürfe gegen Mitglieder einer Studentenvereinigung an der flämischen Freien Universität Brüssel. Auch das beileibe nicht der erste Fall seiner Art. Wieso kommt es zu so etwas, ausgerechnet in dem Bereich, in dem die gebildetsten Menschen unserer Gesellschaft junge Menschen lehren und inspirieren sollen? Experten führen den starken Wettbewerb, den hohen Druck, den knallharten Kampf um Fördermittel ins Feld und die Tatsache, dass es sich noch immer um einen stark von Männern dominierten, streng hierarchischen Sektor handelt. Ein Sektor, der wegen der großen akademischen Freiheit nur schwer zu überwachen ist. Das mögen zwar alles Erklärungsansätze sein. Aber auf gar keinen Fall Entschuldigungen. Es ist allerhöchste Zeit, zu handeln!, wettert Gazet van Antwerpen.
Keine "Good Mood" um "Good Move"
Für Aufsehen weit über die Region Brüssel-Hauptstadt hinaus sorgen derweil die Proteste von Anwohnern mit Ausschreitungen gegen den neuen Mobilitätsplan "Good Move" in der Brüsseler Stadtgemeinde Schaerbeek. Die haben zu einer zumindest vorläufigen Rücknahme neuer Verkehrsregelungen durch die Gemeinde geführt.
Was hier ganz offensichtlich nicht funktioniert hat, ist die Konzertierung zwischen den Beteiligten, analysiert Le Soir. Diese Abläufe müssen also verbessert werden. Trotz all seiner möglichen Defizite muss man dem Mobilitätsplan aber zumindest zugutehalten, dass er die Probleme angeht. Probleme, deren Existenz auch alle anerkennen: die Verkehrssicherheit auf Brüsseler Straßen, die Lärmbelästigung, die Umweltverschmutzung. Bei "Good Move" geht es längst nicht nur um irgendwelche ökologischen Aspekte, Verkehrsberuhigung geht uns alle an, unterstreicht Le Soir.
L'Avenir beklagt, dass es nun offenbar wieder die sind, die am lautesten schreien, die sich durchsetzen. Die, die mit Gewalt neue Verkehrsschilder aus ihren Verankerungen gerissen und wie Kriegstrophäen in die Kameras gehalten haben, bevor sie laut hupend im Siegeskonvoi mit ihren SUVs wieder nach Hause gefahren sind. In der Stadtgemeinde Jette war der Mobilitätsplan nach lauten Protesten ebenfalls zurückgedreht worden. Dagegen sind wiederum Befürworter der Verkehrsberuhigung auf die Straße gegangen, mit ihren Dreirädern und Kinderwagen, sie wollten eine Wiedereinführung der "Good Move"-Maßnahmen. Aber auf sie wollte niemand hören. Und interessant ist auch, wie plötzlich die linksextreme PTB und die Liberalen von der MR ihre Gemeinsamkeiten entdeckt haben – den Kampf mit genervten, autofahrenden Anwohnern gegen die "Technokraten", die angeblich nur an die alternativ angehauchten grünen Wohlstandsbürger denken…, giftet L'Avenir.
Die EU kann keine zusätzliche Bruchlinie brauchen
Das GrenzEcho befasst sich mit einem ganz anderen Thema: Seit einiger Zeit ist nicht nur Sand ins Getriebe der deutsch-französischen Freundschaft geraten, der Motor stottert regelmäßig. Zuletzt drehte er überhaupt nicht mehr. Es geht hauptsächlich um die gemeinsame finanzielle Verantwortung innerhalb der EU in diesen schwierigen Zeiten und es geht um eine gemeinsame Verteidigungspolitik, aufbauend auf einer europäischen Rüstungsindustrie. All die Querelen wären vielleicht verkraftbar, stünde man nicht vor unglaublichen Herausforderungen. Man kann nur hoffen, dass Paris und Berlin schnell zu einer gemeinsamen Haltung finden, die Europas Unabhängigkeit nach vorn bringt. Denn eine zusätzliche Bruchlinie zu all den zuletzt mühsam kaschierten kann sich die EU nicht leisten, warnt das GrenzEcho.
Boris Schmidt