"Die heutige 'nationale Kundgebung' läutet einen heißen Herbst ein", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Ein heißer Herbst steht in den Startlöchern", notiert auch das GrenzEcho. "Die Wut steigt", titelt L'Avenir und verweist damit ebenfalls auf den für heute geplanten Aktionstag der Gewerkschaften. CSC, FGTB und CGSLB rufen heute zum Protest gegen die hohen Lebenshaltungskosten auf. Ihrer Ansicht nach reichen die bisher getroffenen Maßnahmen nicht aus.
"Stoppt dringend die Krise", fordert in übergroßen Lettern die Zeitung La Dernière Heure, die dann aber auch gleich Lösungen anbietet: Zehn Maßnahmen, "um die Kaufkraft der Bürger zu retten". Denn, so erläutert das Blatt in seinem Leitartikel seine Vorgehensweise: Das famose Hilfspaket der Föderalregierung mit seiner Zulage von zweimal 196 Euro ist wie ein Heftpflaster, das mal eben "flott, flott" auf eine klaffende Wunde geklebt wurde. Die Regierungen müssen mutiger, ehrgeiziger sein. Wohlwissend, dass man angesichts leerer Staatskassen auch nicht in Utopien verfallen darf. Die Politik wird in jedem Fall nachlegen müssen.
Sichtbare Wut ist immer besser als unsichtbare
Jedenfalls sollten die Regierungen nicht die Warnleuchten ignorieren, die in diesen Tagen in allen Farben aufleuchten, mahnt Le Soir. Heute sind es die Farben grün, rot und blau. Die Gewerkschaften wollen heute unter anderem bei einer zentralen Kundgebung auf der Brüsseler Place de la Monnaie für die Wahrung der Kaufkraft demonstrieren. Am kommenden Sonntag färbt sich der Protest dann gelb: Die Gelbwesten melden sich zurück und wollen ebenfalls gegen die hohen Energiepreise protestieren. Die dunkelrote PTB bläst ihrerseits ab jetzt zum allwöchentlichen "Wut-Freitag". Inzwischen ist es unüberseh- beziehungsweise unüberhörbar: Die Menschen werden von einem seltsamen Gefühl ergriffen, einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Trotz der diversen Hilfspakete fühlen sich viele alleine gelassen. Der Eine oder die Andere mag jetzt vielleicht darauf hoffen, dass die angekündigten Protestaktionen zu einem grandiosen Flop werden. Das allerdings wäre eine krasse Fehleinschätzung. Es ist immer besser, wenn die Wut sichtbar ist. Alles andere wäre gefährlich. Das wäre nämlich wie ein Gas, das sich unmerklich in einem Raum ausbreitet und vielleicht erst 2024 an der Wahlurne explodiert.
Ein Hauch von Panik
La Libre Belgique ruft die Sozialpartner und insbesondere die Gewerkschaften aber zur Besonnenheit auf. Jeder weiß, dass der vielgerühmte soziale Dialog hierzulande inzwischen eigentlich klinisch tot ist. Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen schaffen es nicht mehr, sich zusammenzuraufen und gemeinsam die sozialwirtschaftlichen Herausforderungen anzugehen. Dass in Krisenzeiten Spannungen auftreten, ist ja noch nachvollziehbar. Doch gerade jetzt sollten sich alle Beteiligten einen Ruck geben. In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass man schwere Krisen nur überwinden kann, wenn die Sozialpartner zusammenarbeiten.
Angesichts der derzeitigen Krise kann einem auf jeden Fall angst und bange werden, meint sinngemäß De Standaard. Ist es nur ein Eindruck, oder sieht man tatsächlich immer mehr Schilder mit der Aufschrift "Haus zu kaufen"? Gut, verwunderlich wäre es nicht, wenn sich der seit Jahren überhitzte Immobilienmarkt mal ein wenig abkühlen würde. Die Zinsen jedenfalls werden steigen. Die Zentralbanken erhöhen inzwischen derartig forsch ihren Leitzins, dass das Ganze fast schon nach Panik riecht. Offensichtlich haben sich die Notenbanker kräftig verkalkuliert, als sie davon ausgingen, dass der Höhenflug der Preise nur vorübergehend sein würde. Jetzt jedenfalls wird man die Inflation schnellstens unter Kontrolle kriegen müssen. Denn hier werden gerade Hoffnungen zerschlagen, Leben regelrecht verwüstet.
Wo bleibt das Engagement des Finanzsektors?
De Morgen appelliert in diesem Zusammenhang zu Besonnenheit und Rücksichtnahme. Die wohl meistverschickten Briefe in diesen Tagen sind Mahnungen, Inkassobüros machen Überstunden. Kurz und knapp: Die "Schuldenindustrie" dreht auf Hochtouren und immer mehr Haushalte werden in diesen Strudel hingezogen. Dies auch und vor allem wegen der unerbittlichen Haltung insbesondere der Energieanbieter: Wer seine Energierechnung nicht binnen zwei Wochen bezahlt hat, bekommt schon einen Mahnbescheid. Und nochmal zwei Wochen später gleich eine Inverzugsetzung. Immerhin arbeitet die Regierung bereits an Maßnahmen, um hier ein wenig den Druck vom Kessel zu nehmen. Die Unternehmen sollten aber auch selbst einsehen, dass Drohungen eigentlich nichts bringen: Bei den Verbrauchern sorgt das allenfalls für Stress und schlaflose Nächte, die Haushaltskasse wird dadurch nicht voller.
L'Echo nimmt seinerseits auch die Banken in die Pflicht. Im Gegensatz zur Coronakrise zeigen die Geldhäuser im Moment doch wenig Entgegenkommen. Ihr Vorschlag, wonach die Ratenzahlungen zeitweilig ausgesetzt werden könnten, kann man allenfalls als homöopathisch bezeichnen. Wie wäre es demgegenüber, wenn die Banken die Zinsen auf Sparbücher endlich der Marktentwicklung anpassen würden? Das wäre zumindest mal ein starkes Signal. Man vermisst jedenfalls ein größeres Engagement vonseiten des Finanzsektors.
Putins Flucht nach vorn
Einige Zeitung blicken derweil mit wachsender Sorge wieder nach Osten. "Putin entscheidet sich für die Flucht nach vorn mit der Annexion der Donbass-Gebiete", so die Aufmachergeschichte von De Standaard. In den russisch-besetzten Gebieten in der Ukraine sollen ja angebliche "Referenden" organisiert werden. Ziel ist es wohl, die Gebiete noch in dieser Woche zu annektieren. "Jetzt wächst die Angst vor einer Eskalation", schreibt De Morgen.
Die Annexion der besetzten Regionen in der Ukraine würde Putin ein Argument liefern, um das Kriegsrecht auszurufen und bei der Mobilmachung einen Gang höher zu schalten, analysiert De Tijd. Das ist wohl nötig, damit er sein Gesicht wahren kann. Denn seine als Blitzoperation angelegte Invasion ist augenscheinlich erst mal gescheitert. Ein weiterer Rückzug der russischen Truppen ist jedenfalls keine Option. Im Falle einer Annexion der ukrainischen Gebiete bekommt der Konflikt aber eine neue Dimension. Dann geht es nämlich um die "Verteidigung von Mütterchen Russland gegen einen westlichen Angriff". Wie soll der Westen darauf reagieren? Fakt ist: Ein Bär, der sich in die Enge gedrängt fühlt, ist doppelt gefährlich.
Roger Pint