"Die Regierung plant Maßnahmen gegen die Energiekrise", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Die Regierung will vor allem die 'Untere Mittelschicht' schützen", schreibt Le Soir auf Seite eins. Das GrenzEcho fasst zusammen: "Die Energiekrise wird auf allen Ebenen heiß diskutiert".
In der Tat: Die Föderal- und auch die Regionalregierungen suchen derzeit fieberhaft nach Wegen, um die Bürger und die Unternehmen zu entlasten. Alle Augen richten sich aber schon auf diesen Freitag: Dann wollen die EU-Energieminister insbesondere über eine Deckelung der Energiepreise beraten.
Das wird aber auch Zeit, wettert sinngemäß Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Die Regierungen dieses Landes und auch die EU haben offensichtlich Sommerschlaf gehalten. Und jetzt muss es plötzlich schnell gehen. Dabei war die Entwicklung absehbar und hätte man sich längst darauf einstellen können. Das hätte die Misere nicht verhindert, man hätte aber den finanziellen Schmerz lindern können. Irgendwie muss man den Eindruck haben, dass immer noch nicht alle den Ernst der Lage erkannt haben. Andere scheinen sich um jeden Preis profilieren zu wollen, weil sie es so aussehen lassen wollen, dass sie es sind, die den Rettungsring ausgeworfen haben. Den Bürgern ist aber herzlich egal, wer ihnen hilft - Hauptsache, es passiert so schnell wie möglich.
Streikdrohung – das große Ganze nicht sehen (wollen?)
Weil die Lage so ernst ist, scheinen nun auch die Gewerkschaften die Geduld zu verlieren. "Die Zeichen stehen auf Generalstreik am 9. November", titelt L'Echo. Die christliche CSC hat gestern jedenfalls mit einer allgemeinen Arbeitsniederlegung gedroht, falls nicht schnell Lösungen kommen für die Menschen, die ihre Energierechnung nicht mehr bezahlen können.
"Nicht jetzt, liebe Gewerkschaften, bitte nicht jetzt", appelliert fast schon flehentlich Het Belang van Limburg. Natürlich muss etwas passieren, am liebsten so schnell wie möglich. Und natürlich kann man den Eindruck haben, dass die Politik ein bisschen spät aufgewacht ist. Und doch ist das jetzt nicht der Moment, um mit der Panzerfaust zu drohen. Angefangen damit, dass man, wenn überhaupt, gegen die wahren Schuldigen protestieren sollte, gegen die Erpressung Russlands oder gegen die habgierigen Energiekonzerne. Es wäre jedenfalls nicht klug, angesichts der drohenden Rezession unserer eigenen Wirtschaft noch einen zusätzlichen Tiefschlag zu versetzen. Mehr noch: Unter diesen historisch schlechten Vorzeichen mutwillig die eigene Ökonomie zu torpedieren, kann man doch nicht ernst meinen. Wenn ein Teil unserer Unternehmen wegen dieser Energiekrise über die Wupper geht, dann haben die Arbeitnehmer nämlich gar kein Einkommen mehr. Die Rolle der Gewerkschaften ist es, sozialen Unfrieden zu kanalisieren, nicht noch zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen.
De Tijd sieht das genauso. Natürlich werden die Arbeitnehmer und ihre Familie aktuell mit bleischweren Energierechnungen konfrontiert. Nur wird man zugeben müssen: Durch die automatische Lohnindexierung sind die Menschen hierzulande noch mehr oder weniger gut geschützt. Eben diese automatische Lohnindexierung macht den Unternehmen das Leben aber doppelt schwer: Neben den hohen Energierechnungen steigen auch noch die Lohnkosten. Und genau deswegen verdienen auch die Betriebe eine kräftige Unterstützung. Dass die Gewerkschaften in einer Krise solchen Ausmaßes, die die ganze Wirtschaft trifft, jetzt auch noch mit der Streikwaffe drohen, zeugt von ihrer Unfähigkeit oder Unwilligkeit, das große Ganze zu sehen.
Zeit für eine "Pax Dei"
De Morgen plädiert denn auch für eine Pax Dei, einen Gottesfrieden. Ja, zugegeben, das klingt fast schon naiv. Aber, mal ehrlich: Ist die Lage nicht ernst genug? Wäre es nicht an der Zeit, dass jetzt alle ihre jeweiligen Schützengräben endlich verlassen und sich zusammenraufen? Die verschiedenen Regierungen des Landes, Arbeitgeber und Arbeitnehmer… Vielleicht ist jetzt der Moment, in dem man auch einmal Verständnis für die Position des jeweils anderen aufbringt, sich gegenseitig vertraut und gemeinsam an einer besseren sozialwirtschaftlichen Politik arbeitet.
Wir schlittern von einer Krise in die nächste, meint Gazet van Antwerpen in einem nachdenklichen Kommentar. Erst Corona, jetzt der Höhenflug der Energiepreise, selbst wer keine unmittelbaren finanziellen Probleme hat, verliert einen Teil seiner Sorglosigkeit. Jetzt müssen wir keine Corona-Patienten mehr in den Krankenhäusern zählen, keine Quarantänetage, sondern Kilowattstunden und Euros. Hoffentlich haben wir inzwischen gelernt, in schwierigen Zeiten ruhig und solidarisch zu bleiben. Die Corona-Zeit sollte uns gelehrt haben, dass Polarisierung und Agitation die Welt auch nicht besser machen.
Die Stunde der Wahrheit für die EU
Für De Standaard fechtet Europa gerade eine entscheidende Schlacht aus, eine entscheidende Schlacht gegen Russland. Die Taktik des Kremls ist offensichtlich, was sie aber nicht minder gefährlich macht: Indem man Europa den Gashahn zudreht, hofft das russische Regime, dass im Westen die Unterstützung für die Ukraine wegbricht. Und dass Brüssel, Berlin und Paris am Ende die russische Besetzung von Teilen der Ukraine hinnehmen. Dieser Plan kann immer noch funktionieren. Doch mehren sich die Hinweise darauf, dass Europa den Angriff abwenden kann.
Plötzlich rückt etwa ein Preisdeckel für Strom und Gas in den Bereich des Möglichen. Insgesamt kann man den Eindruck haben, dass die Europäer bereit sind, notfalls auch Tabus zu brechen, um sich von der Abhängigkeit von Russland zu lösen. An diesem Freitag schlägt die Stunde der Wahrheit. Das Sondertreffen der EU-Energieminister ist von geradezu gigantischer Bedeutung. Wenn die EU es schafft, die Energiepreise bezahlbar zu machen, dann gewinnt Europa die Schlacht. Ein Scheitern wäre demgegenüber ein Zeichen dafür, dass die EU nicht in der Lage ist, in entscheidenden Momenten seine Bürger und Unternehmen zu schützen. Der Winter 2022 wird zum Schlüsselmoment.
Roger Pint