"Konzertierungsausschuss - Findet bitte Lösungen!", fordert La Dernière Heure auf Seite eins. "Welche Maßnahmen, um unser aller Geldbeutel zu entlasten?", fragt sich L'Avenir. "Übergewinne von Energiekonzernen besteuern: Wie soll das gehen?", so die Schlagzeile von Le Soir.
Der für morgen anberaumte Konzertierungsausschuss wirft schon seine Schatten voraus. Die Vertreter aller Regierungen des Landes wollen ja über die aktuelle Energiekrise beraten und im Idealfall auch Lösungen präsentieren. Insbesondere steht die Idee im Raum, die zum Teil enormen Übergewinne der Energieunternehmen zu besteuern. Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Die praktische Umsetzung einer solchen Abgabe ist rechtlich gesehen gar nicht so einfach. "Kann vielleicht die EU die Strompreise zähmen?", fragt sich seinerseits De Morgen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat jedenfalls gestern eine Reform des Strommarktes angekündigt. Wie die im Einzelnen aussehen soll, das ist aber noch offen.
Nackte Panik, die uns jedoch nicht weiterhilft
In der Zwischenzeit bietet Het Nieuwsblad "Erste Hilfe bei Rechnungs-Angst" an. "Macht es Sinn jetzt den Anbieter zu wechseln?", "Gibt es auch einen Sozialtarif für Selbstständige und Unternehmen?", "Was wird mein Anbieter tun, wenn ich meine Rechnung nicht bezahle?" Diese und andere Fragen werden beantwortet.
"Die nackte Panik", konstatiert besorgt Het Nieuwsblad. Die Sorge über die hohen Energiepreise ist umgeschlagen in Panik. Panik hilft uns aber nicht weiter. Panik dient allenfalls denen, die sich seit Monaten an der Energiekrise gesundstoßen. Was natürlich nicht bedeutet, dass man angesichts des Höhenflugs der Energiepreise nicht aufrichtig besorgt sein müsste. Natürlich ist die Lage sehr ernst, und natürlich muss die Politik darauf reagieren. Beim morgigen Konzertierungsausschuss werden die Regierungen des Landes in jedem Fall mehr präsentieren müssen als nur eine reine Bestandsaufnahme. Und noch etwas: Diese Krise ist so gravierend, dass politische Spielchen jetzt nicht nur in den Kühlschrank, sondern in der Kühltruhe verfrachtet werden müssen. Wer das nicht tut, der ist ungeeignet für eine Verantwortungsposition.
Der Konzertierungsausschuss muss Handfestes präsentieren
Eins ist klar: Das Ganze wird schmerzhaft. Oder sehr schmerzhaft, orakelt Het Laatste Nieuws. Denn wir haben tatsächlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder, wir drehen die Thermostate runter, wir schalten nachts die Leuchtreklamen ab, wir lassen den Gasofen aus, … kurz und knapp: Wir sparen Energie. Das ist die schmerzhafte Variante. Und dann gibt es noch die sehr schmerzhafte: Wenn wir nicht sparen und die Nachfrage unverändert hoch bleibt, dann bleiben die Energiepreise auf dem aktuellen Niveau. Und dann brettern Haushalte und Unternehmen geradewegs in die Katastrophe. Genau diese Botschaft muss man aber auch von der Politik erwarten. Zwar ist es bestimmt begrüßenswert, wenn die Regierungen versuchen, die bittere Pille etwas abzumildern. Echter politischer Mut wäre aber, wenn man den Bürgern reinen Wein einschenkt, ihnen klarmacht, dass schwierige Zeiten bevorstehen und dass man sich am besten darauf einstellt.
Von der Vivaldi-Koalition darf man jetzt erwarten, dass sie ihre Verantwortung übernimmt, findet La Libre Belgique. Und da sollte man sich hüten, zu hohe Erwartungen zu schüren. Mal eben in einem Fernsehstudio anzukündigen, dass man die Energiepreise einfrieren will, ist einfach. Sehr viel schwieriger ist es allerdings, eine solche Maßnahme auch umzusetzen, zumindest auf der rein nationalen Ebene. Der Eine oder die Andere scheint da wohl vergessen zu haben, dass Belgien seinen kompletten Energiesektor längst aus der Hand gegeben hat. Was nicht heißt, dass die Regierungen des Landes über keinerlei Hebel verfügen. Es gibt sie durchaus, die Möglichkeiten, um die Auswirkungen dieser Krise abzufedern. Und niemand würde verstehen, wenn die Regierungen des Landes morgen nichts Halbes und nichts Ganzes präsentieren würden.
Die EU hat es in der Hand
L'Avenir ist da skeptisch. Mit wirklich einschneidenden Maßnahmen ist wohl kaum zu rechnen. Selbst Premierminister Alexander De Croo hat ja schon die Erwartungen zurückgeschraubt. Dabei ist eine entschlossene Antwort auf die aktuelle Krise längst überfällig. Für viele Haushalte tickt die Zeitbombe schon immer lauter. Die Menschen erwarten Lösungen.
Aber immerhin macht jetzt auch die EU-Kommission mobil, bemerkt De Tijd. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach gestern eine Notfallmaßnahme, um den Strommarkt neu zu ordnen. Damit reagiert man auf einen Trend, der in vielen EU-Staaten zu beobachten ist: Immer lauter wird der Ruf, in Marktmechanismen einzugreifen, selbst bei jenen, die so etwas normalerweise eher ablehnen. Von der Leyen hat es wörtlich gesagt: Der Energiemarkt in seiner heutigen Form funktioniert nicht mehr. Eine Initiative auf EU-Ebene ist jedenfalls eine gute Neuigkeit. Denn nur die EU verfügt über die Hebel, um wirklich etwas zu verändern. Jetzt muss sie es nur noch tun.
In Krisenzeiten gibt es keine heiligen Kühe
"Aber warum erst jetzt?", ärgert sich Le Soir. Der Höhenflug der Energiepreise sehen wir doch schon seit Monaten. Das passierte vor unserer Nase. Dass der Herbst und vor allem der Winter schwierig würden, konnte man sich an den fünf Fingern abzählen. Und doch sehen wir das Gleiche wie auch schon bei der Coronakrise: Die Reaktion kommt viel zu spät. Das gilt für Belgien ebenso wie für die EU. Und jetzt stellt man also fest, dass der Energiemarkt nicht mehr funktioniert. "Dann repariert ihn doch!", wäre man geneigt zu sagen. Und wie wäre es, wenn der Staat hier wieder das Ruder übernimmt?
In Krisenzeiten sind ideologische Überzeugungen jedenfalls nicht mehr heilig, meint De Standaard. Und tatsächlich: Ein liberaler Premierminister und sogar die EU-Kommission kommen plötzlich zu dem Schluss, dass der freie Markt nicht immer gut funktioniert und dass manchmal auch ein staatlicher Eingriff wünschenswert ist. Sogar eine Übergewinnsteuer ist kein Tabu mehr. Allerdings ist immer noch nicht jeder davon überzeugt. Jedes EU-Land hat seine ganz eigenen energiepolitischen Interessen. Die einzige mögliche Antwort auf die Energiekrise kann aber nur Einigkeit sein.
Roger Pint