"Sechs Monate Krieg in der Ukraine und keine Aussicht auf ein Ende", titelt La Libre Belgique. "Wie die russische Invasion die Welt umgekrempelt hat", heißt es im Aufmacher von Le Soir. "Explosion der Preise bereitet der Politik Kopfzerbrechen", so die Schlagzeile von L'Avenir.
Genau sechs Monate nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine blicken die Zeitungen in ihren Leitartikeln sowohl auf den Konflikt in der
Ukraine selbst, als auch auf die Folgen für Europa und Belgien.
Le Soir zeichnet ein sehr düsteres Bild: Am schlimmsten ist es natürlich in der Ukraine. Tag und Nacht werden die Menschen dort mit Grausamkeiten und dem Tod konfrontiert. Mit dem Verlust ihrer Häuser, der Unsicherheit, wie die Zukunft aussehen könnte. Aber auch bei uns wächst die Angst und sie ist nicht unbegründet. Es ist das erste Mal seit einer Generation, dass die Welt sich in einer solch misslichen Lage befindet. Eine Bedrohung ist schlimmer als die andere: die Bedrohung der Extremen und Nationalisten wie Trump, Marine Le Pen oder Giorgia Meloni, die nukleare Bedrohung, Spaltung der Gesellschaft, Wirtschaftskrise - kurz, das ganze Paket. Und eigentlich sollten wir gegen den Klimawandel kämpfen, erinnert Le Soir.
Wie lange hält Europa das noch aus?
Het Nieuwsblad meint: Der Krieg in der Ukraine scheint aktuell in einer Phase des Stillstands zu sein. Viel Bewegung an den Fronten gibt es zurzeit nicht. Die Auswirkungen des Kriegs auf den Westen werden dagegen immer größer. Die Frage stellt sich, wie lange Europa das noch aushält. Schon jetzt ist das Verständnis für die Sanktionen gegen Russland in der Bevölkerung geschrumpft. Die hohen Energiepreise zwingen Europa in die Knie. Es kann sein, dass Putin sehr wohl an einer Front gewinnt, nämlich in seinem Kampf gegen Westeuropa. Dort will er die Mittelschicht zerstören, weiß Het Nieuwsblad.
La Libre Belgique bemerkt: Die schlimmsten Befürchtungen, die wir beim Ausbruch des Kriegs gehabt haben, haben sich nicht bewahrheitet. Der Krieg ist nicht eskaliert. Noch ist keine Atombombe gefallen. Dafür ist Europa viel stärker von dem Konflikt betroffen als vor sechs Monaten gedacht. Das wird auch noch so weitergehen. Aber da müssen wir durch. Unsere Unterstützung für die Ukraine darf nicht nachlassen. Denn es bleibt dabei: In der Ukraine geht es auch um unsere westlichen Werte. Wenn es eines Tages zu Friedensgesprächen kommt, muss die Ukraine aus einer Position der Stärke am Tisch Platz nehmen. Für ihre Freiheit und für unsere, unterstreicht La Libre Belgique.
Warum hat De Croo das gesagt?
Die Wirtschaftszeitung L'Echo schaut allein nach Belgien und stellt fest: Es sieht ziemlich düster aus angesichts der steigenden Preise überall und vor allem für Energie. Das betrifft nicht nur die Bürger, sondern auch die Unternehmen. Viele von ihnen werden angesichts der hohen Energiekosten massive Schwierigkeiten bekommen. In einigen Chefetagen wird schon über Abwanderung nachgedacht. So etwas wäre eine Katastrophe. Aber vielleicht kommt es ja gar nicht so weit. Denn wenn Premierminister Alexander De Croo sich hinstellt und sagt, dass die nächsten fünf oder vielleicht zehn Winter schwierig sein werden, dann kann man sich auch vorstellen, dass er bereits Pläne hat, wie man gut durch diese schwierigen Zeiten kommt und auch die Unternehmen bei uns halten kann, hofft L'Echo.
De Standaard dagegen überlegt: Warum hat De Croo diesen Satz mit den fünf oder zehn schweren Wintern überhaupt gesagt? Es bleibt unklar und man kann nur spekulieren. Vielleicht wollte er die Bürger darauf einschwören, dass es lange dauern wird und keine Wunder von ihm zu erwarten sind. Wahrscheinlicher aber ist es, dass er die Parteien seiner Regierungskoalition dazu aufrufen will, Einigkeit zu zeigen. Vorgezogene Neuwahlen in der aktuellen Krisensituation würden nur extremen Parteien in die Hände spielen, orakelt De Standaard.
Zypern, Katar und Brecht
Auch Gazet van Antwerpen stellt sich die Frage: Was war das Ziel von De Croos Ankündigung? In welche Glaskugel hat er geschaut, um die Zukunft auf so weite Sicht vorherzusagen? Und warum kam dann nicht noch mehr? Also ein Plan, der uns Hoffnung macht? Ein Plan, der zeigen würde: Wir werden gut durch die schwierigen Jahre kommen. In normalen Zeiten könnte man De Croos Ankündigung einfach so stehen lassen. In der aktuellen Krisensituation, in der viele Menschen sich große Sorgen machen, ist das zu wenig, ärgert sich Gazet van Antwerpen.
Het Laatste Nieuws schreibt: In den Tagen der aktuellen Energiekrise mit all ihren schlechten Nachrichten kommt hier jetzt eine gute: Im Meer bei Zypern ist ein großes Gasfeld gefunden worden. Was für eine tolle Nachricht, könnte man denken! Aber die Sache ist kompliziert. Europa will bis 2050 ja CO2-neutral sein. Bei diesen Plänen ist Erdgas ein Spielverderber. Denn nur mal kurzfristig ein bisschen Gas bei Zypern aus der Erde pumpen, um die aktuelle Krise zu überbrücken, das lohnt sich nicht. Weshalb es dabei bleiben wird: Lieber kaufen wir Gas in Katar, als bei uns selbst zu bohren. Wie Berthold Brecht schon sagte: Erst kommt das Fressen, dann die Moral, zitiert Het Laatste Nieuws.
Kay Wagner